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Filmkritik
Braucht es zum Vergessen die Erinnerung, braucht es Bilder, die man willentlich verblassen lässt, um im Leben weitergehen zu können? Direkt ausgesprochen wird diese Frage, die im Hintergrund von „Rückkehr nach Korsika“ ständig mitschwingt, von der 18-jährigen Jessica (Suzy Bemba), die sich zum ersten Mal bewusst an dem Ort ihrer ersten Lebensjahre wiederfindet, an dem ihr Vater unter tragischen Umständen starb. „Das ist die Kindheits-Amnesie“, meint ihre jüngere Schwester Farah (Esther Gohourou) zu dem merkwürdigen Nichts, das ihnen auf der Insel begegnet. Sie selbst war noch ein Baby, als die Mutter mit den beiden Töchtern Korsika fluchtartig verließ. Vom Vater sind den Schwestern neben ein paar Fotos nicht mehr als ein paar dürre Erzählfäden geblieben, die sich über die Jahre zu einer immer ungreifbareren Leerstelle ausgewachsen haben.
Doppelt wiegende Fremdheitserfahrungen
Die französische Regisseurin Catherine Corsini erzählt eine klassische Geschichte über den Aufruhr und die Verunsicherung, die mit einer Rückkehr – in die Vergangenheit, an den Herkunftsort – einhergehen können. Für das französische Kino eher „unklassisch“ ist hingegen, dass die Protagonistinnen schwarz sind und ihre Fremdheitserfahrungen schwerer und gewissermaßen doppelt wiegen. Die aus Westafrika migrierte Kheididja (Aissatou Diallo Sagna), die ihrer ersten Liebe nach Korsika folgte, hat sich an diesem Ort schon immer als Gast im eigenen Haus gefühlt, wie sie gegen Ende des Films in einem Monolog erklärt. Nach 15 Jahren kehrt sie erstmals wieder auf die Insel zurück. Der Grund ist keine gewollte Spurensuche, sondern eine Beschäftigung als Tagesmutter bei einer wohlhabenden weißen Familie. Mutter und Töchter beziehen einen Bungalow auf einem Campingplatz, wo ihre Ankunft unmittelbar Blicke auf sich zieht; auch am Strand sind sie weitgehend allein unter Weißen.
Das Gefühl einer fundamentalen Unzugehörigkeit bestimmt die Figuren, artikuliert sich bei jeder der dreien jedoch auf unterschiedliche Weise. Farah, eine nölige, etwas aufsässige Teenagerin, sucht Konfrontation und Überschreitung; am Strand legt sie sich mit einem jungen Mann an, der eine Gruppe Kinder rassistisch beleidigt; später klaut sie ihm seine Drogen und verkauft sie an Touristen. Jessica, deren Name sie schon als „kleine Französin“ markiert – was Farah, deren Name „afrikanisch“ klingt, einmal zu einer Diskussion über ungleiche Voraussetzungen anstachelt –, hat durch ihren guten Schulabschluss einen Studienplatz an einer angesehenen Pariser Hochschule sicher. Mit Gaia, der verwöhnten Tochter der weißen Familie, erlebt sie erste sexuelle Erfahrungen. Je mehr sie sich in die privilegierte Welt hineinbewegt, desto größer wird der Wunsch, die eigene Herkunft abzustreifen. Während die etwas verloren wirkende Farah mit der Zeit eine gewisse Erdung findet, droht sich die ältere Schwester zu verlieren.
Zaghafte Bedürfnisse und Unsicherheiten
Kheididjas innerer Aufruhr ist undurchsichtiger und wird mehr über Andeutungen erzählt; erst als sie sich einem Freund ihres verstorbenen Mannes annähert, gewinnt sie mehr Kontur. Es ist die vielleicht schönste Szene des Films, auch weil man diese Form der Begegnung im Kino viel zu selten sieht: zwei Menschen, die lange keinem anderen Körper nah waren, zeigen sich in ihren zaghaften Bedürfnissen und Unsicherheiten.
Der Film erzählt von der Unruhe diasporischer Identitäten in einem überwiegend leichten Ton; die Wunden, die aufgerissen werden, sollen nicht allzu sehr schmerzen. „Rückkehr nach Korsika“ ist auch ein Coming-of-Age-Szenario in sommerlicher Kulisse, mit warmen Nächten am Strand und Partys, auf denen zu viele Drogen konsumiert werden und ein aus der Wand brechendes Waschbecken den Anfang eines größeren Kontrollverlusts darstellt. Das Nebeneinander von jugendlichem Überschwang, dem Entdecken neuer Gefühle und gewichtiger Themen wie Herkunftsscham, Klasse und Rassismus gelingt nicht immer. Die Inszenierung neigt zu Redundanz und einer allzu durchsichtigen Ausformulierung von Mikroaggressionen, etwa wenn der Vater der weißen Familie Jessicas Leistungen vor ihrer Mutter und seiner Tochter als besondere Errungenschaften herausstellt – eine gut gemeinte Geste, hinter der sich Gönnerhaftigkeit wie Herablassung verbirgt. Auch der Erzählstrang mit der von Kheididja verschwiegenen Großmutter gerät etwas kurz.
Unangestrengte Lebendigkeit
In seinen fast komödiantischen Alltagssituationen findet „Rückkehr nach Korsika“ jedoch immer wieder zu einer unangestrengten Lebendigkeit, insbesondere im Zusammenspiel der ungleichen Schwestern, die, gerade noch genervt voneinander, in einen schwesterlichen Rhythmus finden, der alle Differenzen vergessen lässt.