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Filmkritik
Die „Scheune“, eine Art sehr autonomes Jugendzentrum, liegt am Rande der Stadt inmitten von Wiesen. Hier können die Jugendlichen, die Junggebliebenen und die wieder Junggewordenen tun und lassen, was sie wollen. Sie sind dabei sehr laut, ausgelassen und autodestruktiv. Wenn sie sich nicht gegenseitig bespritzen oder beschmieren, schnüffeln sie gerne Klebstoff und hängen ab. Mitunter ziehen sie auch herum und zerlegen eine Wohnung in der Nachbarschaft.
Besonders wichtig ist dabei, dass die Provokationen, das Abhängen und Marodieren, das Gelaber und Geschrei online gestellt werden. Das hat einen Grund. Denn in der knallbunten Dystopie von Dennis Stormer bestimmt ein Algorithmus nicht nur über Konsum, sondern auch über das Ende der Jugend. Beim kleinsten Verdacht, verantwortlich zu handeln, klingelt es an der Haustür und freundliche Menschen erklären, dass man von nun an den Erwachsenenstatus verliehen bekommt. Das hat zweierlei Vorteile: Einerseits spart man sich das Gedöns mit den Hormonen und der Pubertät. Zum anderen gehen mit dem Erwachsenenstatus automatisch viele Privilegien einher: Job, Wohnung, Auto und Sex. Hat man an Letzterem besondere Freude, klingelt es erneut an der Haustür, um die Schwangerschaft zu besprechen.
Schluss mit Remmidemmi
Der Nachteil des Erwachsenseins: Schluss mit Remmidemmi! Anders formuliert: Die Work-Life-Balance als Erwachsener lässt zu wünschen übrig. So ungefähr funktioniert das Modell in „Youth Topia“, das allerdings nicht ganz wasserdicht zu Ende gedacht scheint (Drehbuch: Dennis Stormer, Marisa Meier). Denn es ist fraglich, ob einfach von Status zu Status geswitcht werden kann oder ob nicht mit einer kurzfristigen „rite de passage“ zu rechnen ist. Fraglich ist auch, inwieweit die beiden Lebenswelten wirklich voneinander getrennt sind.
Wenn man der jungen Wanja (Lia von Blarer) zum ersten Mal in der Scheune begegnet, ist sie zwar nicht die Anführerin der Jugendlichen, aber eine Art Alphatier der bunten Gruppe. Die Scheune stellt sich als psychedelisch-trashige Mischung von Ikea-Kinderparadies und Waldorf-Kindergarten dar, zu der bunte Haare und Hippie-Outfits bestens passen, fotografiert mit Farbfiltern in TikTok-Manier. Das ist sehr lustig, aber auch sehr anstrengend.
Schon hier fällt auf, dass der Algorithmus offenbar auch andersherum funktioniert. Wer seinen Erwachsenenstatus (bewusst oder unbewusst?) ruiniert, wird schnell wieder zum Jugendlichen, jetzt allerdings mit Erfahrungen. Früher hätte man dazu wohl Sabbatical gesagt. Durch die Berufsjugendlichkeit entsteht allerdings keine Hierarchie innerhalb der Gemeinschaft.
Man ist so jung, wie man sich fühlt
Ausgerechnet bei der rebellischen Wanja klingelt es eines Morgens dann an der Haustür, als sie einmal kurz zum Schlafen bei ihrem Alleinerzieher aufgetaucht ist. Sie wird mit dem Erwachsenstatus ausgezeichnet und bekommt einen Assistenz-Job in einem schick-kühlen Architekturbüro. Damit verbunden sind ein Sportwagen, eine Wohnung mit gefülltem Kühlschrank und Backofen mit Kindersicherung plus ein gutaussehender Nachbar (Sex), alles gefilmt mit der verführerischen Ästhetik eines Werbeblocks.
Am Arbeitsplatz schätzt man Wanjas Know -How, denn das Architekturbüro hat den Auftrag für das „Haus der ewigen Jugend“ erhalten, das mitten in der Stadt geplant ist. Die Scheue soll aus Umweltschutzgründen abgerissen werden. Während aus den unbotmäßigen Jugendlichen Hausbesetzer werden, wird Wanja als Vermittlerin der Bedürfnisse und Wünsche der Jugendlichen instrumentalisiert. Diese Funktion entfremdet sie von ihrer alten Clique. Der Verlust an Gemeinschaft ist der Preis der Selbstverwirklichung. Abweichung führt zu Langzeitjugendlichkeit als Klebstoff schnüffelnder Teletubbi, allerdings unter sozialer Kontrolle im „Haus der ewigen Jugend“.
Wanja muss sich entscheiden, zu welcher Seite sie gehören will. In einem wilden Showdown mündet die als Utopie deklarierte Dekonstruktion von Coming-of-Age-Konventionen in ein neues-altes „Hope I die, before I get old“! Man ist so jung, wie man sich fühlt. Dagegen ist selbst der Algorithmus machtlos.