- RegieKate Dolan
- Dauer93 Minuten
- GenreHorror
- Cast
- IMDb Rating6.7/10 (0) Stimmen
Vorstellungen
Filmkritik
Manchmal kommen uns scheinbar vertraute Menschen urplötzlich merkwürdig vor. Sie verändern ihr Aussehen, benutzen ungewohnte Gesten oder sagen Dinge, die sie sonst nie sagen, und plötzlich ist da eine Befremdung, wo man sich vorher genau zu kennen glaubte. Was aber wäre, wenn der Mensch, der da vor einem steht, gar kein Mensch ist? Die irische Regisseurin Kate Dolan spürt in ihrem mysteriös angelegten Horrordrama „You Are Not My Mother“ diesem Misstrauen nach, festgemacht an einer Geschichte um die Beziehung zwischen einer Schülerin und ihrer Mutter.
Die junge Char (Hazel Doupe) hat es nicht einfach. In ihrem Stadtviertel in Dublin ist ihr Familienname in Verruf geraten. Hinter ihrem Rücken tuscheln Mitschüler über die schüchterne Jugendliche, sticheln gegen sie. Manche werden auch handgreiflich, lauern ihr in engen Gassen auf und piesacken sie. Doch auch die Erwachsenen feinden sie öffentlich an, werfen Char misstrauische Blicke nach, wenn sie auf dem Schulweg an ihrem Haus vorbeigeht, verbieten ihren Kindern den Umgang mit ihr. Chars Umfeld reagiert auf sie wie Antikörper auf ein Virus, das es zu bekämpfen und abzukapseln gilt.
Sozialdrama trifft Schauermär
So zieht sich die ohnehin unsichere Schülerin immer weiter in sich zurück. Freunde scheint sie keine zu haben. Da bleibt nur das sichere Zuhause, ein kleines Reihenhäuschen mit Vorgarten, eines von vielen in ihrem mustergültigen Stadtviertel. Hier lebt sie gemeinsam mit ihrem vielbeschäftigten Onkel, der naturverbundenen Großmutter und ihrer Mutter – einer kränklichen Frau mit burschikosem Haarschnitt, die sich schon lange nicht mehr um ihre Tochter kümmern kann. Als sie sich auf Bitten von Char doch aufrafft, ihre Tochter morgens zur Schule zu fahren, bekommt die verwirrt wirkende Frau einen Anfall am Steuer, und die beiden entgehen nur knapp einem Unfall. Char stürmt wutentbrannt zur Schule und lässt die entgeisterte Mutter am Steuer im Seitengraben zurück.
Ab dann kippt „You Are Not My Mother“ langsam vom Sozialdrama ins Schauerliche. Chars Mutter verschwindet und taucht plötzlich wieder auf, und das Mädchen gerät in einen Strudel aus Zweifel und Angst. Die wiedergekehrte Mutter scheint wie ausgetauscht, drückt und herzt ihre überrumpelte Tochter und legt sogar eine kleine, ausgelassene Tanzeinlage beim Kochen der Kürbissuppe aufs Parkett. In diesen Momenten lässt Jungdarstellerin Hazel Doupe ihr Talent durchscheinen und gibt kurze, hoffnungsvolle Einblicke in die nach Mutterliebe lechzende Kinderseele. Je mehr diese kleinen Hoffnungsflämmchen jedoch zu lodern anfangen, umso brutaler weiß Regisseurin Kate Dolan diese wieder auszutrampeln. Denn schnell wird klar: Die Mutter, die hier urplötzlich wieder in der Haustüre steht, ist nicht dieselbe wie zuvor im Auto.
Es hakt bei den Nebenfiguren
Ähnlich wie Jennifer Kent in „Der Babadook“ webt Dolan ein Verwirrspiel um die wahre Natur der Beziehung zwischen Mutter und Kind, wobei „You Are Not My Mother“ stilistisch wesentlich genrekonformer und weniger im Stile des „elevated horror“ an die Sache herangeht. Carolyn Bracken als Chars Mutter sorgt insbesondere durch ihre trügerisch grazile Physis für regelmäßige Schauermomente, die nicht nur die eigene Tochter zunehmend an ihrer Menschlichkeit zweifeln lassen. Auch setzt der Film auf naturreligiöse Elemente, die Großmutter Rita beim Flechten von Mooskügelchen sowie Murmeln von außerweltlichen Formeln in eine hexenartige Aura hüllen, was auch auf die ablehnende Haltung der anderen Stadtbewohner einzahlt.
Diese und weitere folkloristisch angehauchte Elemente wie die Wechselbalg-Legende bilden einen schaurig-schönen Kontrast zum mitschwingenden Sozial- und Familiendrama, was Chars Hilflosigkeit ob der übernatürlichen Einflüsse auf ihre Familie greifbar macht. Dabei punktet der Film zwar mit überzeugenden Frauenfiguren im Zentrum, schafft es jedoch nicht, die Nebenfiguren ähnlich gut zu konturieren und über rein funktionale Handlungsträger hinaus als Charaktere zu entwickeln. Auch nimmt Chars unerschütterliche Liebe zur Nicht-Mutter mitunter naiv wirkende Züge an, die auch durch kryptische Einblicke in die gemeinsame Vergangenheit von Tochter und Mutter nicht glaubhafter werden, was die Identifikation mit der Figur erschwert.
Trotz dieser Einschränkungen und auch wenn die genrekonformen Schauerelemente die sozialdramatischen Auseinandersetzungen gelegentlich übertünchen, bleibt „Yo Are Not My Mother“ gleichwohl ein respektables, atmosphärisches Langfilmdebüt, das neugierig auf weitere Arbeiten der irischen Filmemacherin macht.