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Filmkritik
Danny hat bisweilen merkwürdige Erscheinungen. Dabei betrachtet der 15-Jährige die Welt manchmal nur wieder durch die Augen eines Kindes. Weil er sich einsam und hilflos fühlt, belebt es sein Stofftier und schöpft daraus Trost. Oder er fantasiert den von ihm angehimmelten italienischen Popstar Patty Pravo herbei, der für einen Augenblick die Rolle der fürsorglichen Mutter mimt. Doch der schwule Danny weiß, dass die ferne Göttin ihn nicht wirklich vor Kälte schützen kann. So reist er nach dem Tod seiner wirklichen Mutter zu seinem Bruder Odysseas nach Athen. Mit ihm will er den seit ihrer Kindheit verschollenen Vater suchen, um die griechische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Odysseas aber ist von dem plötzlichen Auftauchen seines Bruders gar nicht beglückt. Mit Danny, der sein Anderssein durch poppige Kleidung und mit einer femininen, zweifarbigen Sidecut-Frisur hervorhebt, kann er auf den Athener Straßen nicht als Normalbürger durchgehen. Doch als ihn der kleine Bruder zur Teilnahme an einem Gesangswettbewerb in Thessaloniki überreden kann und sich selbst durch einen Pistolenschuss in die Bredouille bringt, brechen die beiden in unbekannte Gefilde auf. Wie der sprechende Titel schon andeutet, spinnt der Film von Panos H. Koutras eine ambivalente Erfahrung aus. Feinsinnig und facettenreich erzählt er nicht nur vom Fremdsein (xenos) im eigenen Land, davon, wie beschwerlich es sich als Migrant und als Homosexueller in Griechenland lebt, sondern auch von der Gastfreundschaft (xenia). Die Inszenierung nutzt dazu das Motiv der ungleichen Brüder. Mit unterschiedlichem Temperament versuchen die beiden Hauptfiguren Danny und Odysseas, ihren Alltag in einer Gesellschaft zu meistern, die sich vorderhand über die griechische Nation und über christliche Werte definiert. Da sie in diesem Land als Kinder einer albanischen Mutter geboren, aber von ihrem griechischen Vater nicht anerkannt wurden, müssen sie wie jetzt der ältere Bruder Odysseas an ihrem 18. Geburtstag mit der Abschiebung rechnen. Während sich bei dem sich cool gerierenden Danny angesichts von Homophobie und Fremdenhass recht schnell der Frust und die gestaute Wut entlädt, will der besonnen handelnde Odysseas jedem Konflikt aus dem Wege gehen. So soll es auch der jüngere Bruder halten, um den er sich aufmerksam kümmert. Doch der Regisseur bekundet durchaus Sympathie mit dem zornigen, aber eben auch leidenschaftlichen Youngster, den er mit symbolträchtigen Attributen versehen hat. Stets lässig einen Lutscher im Mundwinkel, erschafft sich der Held, ähnlich der Hauptfigur in „Mein Freund Harvey“ (fd 1367), ein lebendes Kaninchen als Alter Ego. In Dannys noch kindlichem Wesen offenbart sich eben auch ein schöpferisches Potential, das Wandel antreibt. Wenn sich bei ihm dann jene kurzen Momente der inneren Irritation einschleichen, fangen das Kamera und Sound prägnant mit Großaufnahmen seines schönen Gesichts, mit Zeitlupe und Nachhalleffekten ein. Um die Höhen und Tiefen der Entwicklung des ungleichen Bruderpaars plastisch zu bebildern, hat Koutras die antike Form der Irrfahrt gewählt. Trotzdem ist diese Reise geradezu von der Idee des Schönen und Guten beseelt. Durch Auslassung oder Symbolisierung, popartige Bilderspiele und den geschickten Einsatz der Songs von Patty Pravo wahrt die Inszenierung selbst in der größten Not das Maß des Erträglichen, um allzu starke Gefühle herunter zu kühlen, und gewinnt dadurch große Dichte. Die Orte, an denen die Protagonisten nun verweilen, künden von einem wirtschaftlich desolaten Land. Einmal finden die Brüder in einem baufälligen Hotel Unterschlupf, über das „Xenia“ als Logo alten Glanz andeutet. Denn der Titel des Films bezieht sich überdies auf ein maßstabsetzendes Programm des griechischen Staates, das durch die Errichtung einer stattlichen Anzahl höherwertiger Hotels im Stil der klassischen Moderne die Infrastruktur für ein prosperierendes Land schaffen wollte. Wenn Danny schließlich die Villa des angeblichen Vaters durch einen ähnlich gestalteten Eingangsbereich betritt und seinen Blick über eine Galerie, gesäumt von durchsichtigen Glasscheiben, auf einen großräumigen Wohnbereich schweifen lässt, dann beklagt der Film auch den Niedergang eines vormals am öffentlichen Wohl orientierten Gemeinwesens. Und setzt mit den neu geschaffenen Bindungen zugleich ein anderes, hoffnungsfrohes Zeichen.