- RegieNancy Camaldo
- Dauer115 Minuten
- GenreDrama
- Cast
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
„Kein Wind ist demjenigen günstig, der nicht weiß, wohin er segeln will“, schrieb Michel de Montaigne und umriss damit schon vor einem halben Jahrtausend das Lebensgefühl heutiger Erwachsener aus der Mittelschicht am Beginn ihres Erwerbs- und Fortpflanzungslebens. Alles ist möglich, nichts zwingend, abgesehen von den Imperativen „Sei du selbst““ und „Sei selbstfürsorglich!“. Wenn jeder für sich selbst sorgt, ist am Ende doch an alle gedacht! Warum nur strengt alles so an? Und wohin denn nun mit sich?
Eine Hitzeglocke wölbt sich über die Stadt
„Windstill“ nennt Nancy Camaldo ihren Debütfilm über zwei Schwestern Mitte Zwanzig, und diese Windstille macht sie über weite Strecken fühlbar. Denn Lara (Giulia Goldammer) und Ida (Barbara Krzoska) haben sich so sehr voneinander entfremdet, dass der Film zunächst einmal gar nicht von diesen beiden, sondern von einem überforderten jungen Elternpaar erzählt: von Lara und Jacob (Thomas Schubert). Sie schleppt sich pampig und erschöpft durch den Baby-Alltag und fährt abends Taxi, obwohl sie ursprünglich mal Medizin studieren wollte. Jacob schuftet als Koch und wird ständig von seinem Chef oder von Lara zurechtgewiesen. In einer fast apokalyptischen Unausweichlichkeit wölbt sich zu allem Überfluss eine Hitzeglocke über diesen Münchner Sommer; die Farben scheinen wie ausgebleicht, ein kleiner Ventilator neben dem Bett wird zum Symbol für die Vergeblichkeit eigener Maßnahmen.
Es dauert also, bis das Drehbuch sich eine dramatische Wendung gönnt, aber so wird wenigstens Laras Bedürfnis nachvollziehbar, aus all dem auszubrechen. Spontan liefert sie das Kind bei Jacob im Restaurant ab und verschwindet. Danach erzählt der Film brav alles, was man wissen muss, um im Gegensatz zum Kindsvater nicht allzu sehr auf die Folter gespannt zu werden. Man sieht, dass Lara über den Umweg einer Mottoparty, zu der sie sich selbst einlädt, zu ihrer Schwester nach Südtirol reist, die dort den kleinen Bauernhof der verstorbenen Eltern weiterbetreibt. Doch Ida reagiert schroff, während ihr Gehilfe und Lover Rafael (Anselm Bresgott) ähnlich weich und passiv dem Szenario beiwohnt wie vorher Jacob.
„Windstill“ interessiert sich mehr für individuelle Psychogramme als für Ideen und kommt damit genauso wenig weiter wie die Figuren. Die Dauerkonstellation aus Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs und flauschig-netten Männern trägt nicht über knapp zwei Stunden. Wie eine Verlegenheitslösung wirkt es, wenn die Auseinandersetzungen immer wieder marottenhaft zum Bilderbogen stilisiert werden. Der Ton der Szene wird dann leiser oder verschwindet ganz, während sich die harmonische Gitarrenmusik von Michael Lauterbach darüberlegt oder gar ein Dialog aus einer anderen Szene. Solchen Szenen strahlen dann eine harmlose Egalheit aus.
Widerständige Präsenz, trockene Dialoge
Spannend könnte es werden, als auch Jacob und das Kind auf dem Hof landen. Damit klopft die Möglichkeit einer Zweck- und Sympathiegemeinschaft an, ein Ausweg aus der Überforderung der Einzelnen. Aber letztlich trauen weder die Figuren noch die Regisseurin diesem Konzept über den Weg; alle sind und bleiben mit ihren Träumen und Versäumnissen befasst. Ida wollte eigentlich Schriftstellerin werden; jetzt mistet sie den Stall aus und kocht Marmelade ein. Sie „sammelt Ideen“ und betäubt ihre Wut mit Rotwein. Was soll man schon tun, wenn man nicht mehr gegen die abwesenden Eltern anschimpfen kann, die im Urlaub verunglückt sind (wie die von Lara und Ida) oder jetzt gerade dringend eine Kreuzfahrt machen müssen (wie Jacobs Eltern), weshalb sie bei der Babybetreuung dem Paar genauso wenig beistehen können wie die restliche Solidargemeinschaft.
Starke Momente gelingen dem Film dennoch: durch die souverän- widerspenstige Präsenz des Ensembles, durch trockene Dialoge und manchmal auch durch Ausbrüche aus der Dialogversessenheit, wenn die Bildgestaltung von Lukas Nicolaus die psychologische Enge aufbrechen und beruhigen kann. Dann beobachtet die Kamera Ida und Rafael etwa oben auf einem Hang, wie sie ihn auffordert, ihren Nacken nach Zecken abzusuchen, und er nichts findet. Wie Ida dann unwirsch weiterstapft und über einen Bekannten im Rollstuhl berichtet, während die Kamera sie fortziehen lässt, beiläufig den Abgrund neben ihr erfasst und dann, vor dem endlosen Himmel, den versonnen hinter ihr her lächelnden Rafael abtastet. In dieser kurzen Sequenz erzählt „Windstill“ viel von Nähe, Gefahr und schwerelosem Glück, von Liebe.