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Filmkritik
Seine Hoheit Prinz Alfredo liegt auf dem Sterbebett und pupst. Das Sterbezimmer ist ein Wald aus Zeichen: an der Seite des Alten spielt ein kleiner Bub mit einem Feuerwehrauto, hinter ihm hängt ein Historiengemälde mit kleinwüchsigen schwarzen Menschen, draußen vor dem Fenster wirft ein vorbeifliegendes Raumschiff seinen schwarzen Schatten auf ein Straßenschild mit dem Namen „Travessa da Queimada“ (was so viel heißt wie: Querbalken des Verbrannten). Die Zahl 2069 legt sich in großen roten Buchstaben über das Schild. Von einer nicht näher definierten Zukunft aus erinnert sich der Sterbende wehmütig – „Afonso!“ – an die Zeit seiner Kindheit und des Erwachsenseins zurück.
In „Irrlicht“ von João Pedro Rodrigues ist von Anfang an alles kreuz und quer und queer: Historienfilm, Kolonialgeschichte, Science-Fiction, eine Atmosphäre der Distinguiertheit und des Heiligen, vermischt mit dem Profanen. Der Weg zur Feuerwehr geht über den Wald, in dem sich der junge blondgelockte Prinz im Jahr 2011 mit seinem Vater wiederfindet. Der lobt die Disziplin und den geraden Wuchs der königlichen Kiefer (im Unterschied zum „republikanischen Wald“), während er achtlos seine Zigarette auf dem Boden ausdrückt. Alfredo solle sich von den Bäumen inspirieren lassen, von ihrem kräftigen Stamm, dem siedenden Harz unter der Rinde, dem prallen Saft. Der junge Prinz bekommt bei solch prallen Baummetaphern unmittelbar eine Erektion.
Tanz und Tableaux vivants bei der Feuerwehr
Einige Jahre später sind die Fernsehnachrichten nicht nur in Portugal von den verheerenden Waldbränden bestimmt. Alfredo, Student der Kunstgeschichte und hochsensibilisiert für die Auswirkungen der globalen Erwärmung – Greta Thunberg spricht durch ihn –, verkündet zum Entsetzen der Eltern, dass er zur freiwilligen Feuerwache will. Anders als bei dem cruisenden Müllmann in „O Fantasma“ (2000), Rodrigues’ Spielfilmdebut, geht es hier trotz der sehr forschen, sehr dicken Feuerwehrchefin sanft zu. Die Rettungsübungen der „Bombeiros“ sind elegant und behutsam, es wird getanzt! Auch Tableaux vivants gehören zu den hinreißenden Aktivitäten der Truppe. In den Dusch- und Umkleideräumen adaptieren die nur mit Jockstraps bekleideten Männer berühmte Gemälde von Rubens, Caravaggio und Bacon.
Als Alfredo bei einer Übung von dem schwarzen Ausbilder und Soziologiestudenten Afonso aus dem 3. Stock gerettet und wiederbeatmet wird, fliegen die Funken. Beim Sex im Wald werden politische Begriffe und (rassistische) Stereotype zu Liebesworten: Imperialist! Kannibale! Sklaventreiber! Schwarzer Turm! Weißer König! Ihre Liebesgeschichte ist rein, utopisch und kurz. Nachdem sein Vater vom Coronavirus niedergestreckt wurde, entscheidet sich der Prinz dafür, die Nachfolge anzutreten.
Musical, Fantasy, Umweltschutz und Postkolonialismus
Legenden und Mythen, Begehren, Lust und transformatorische Kräfte sowie aus dem generischen Rahmen quellende Geschichten gehören seit jeher zu den Elementen der Rodrigues’schen Kinowunder. In „Irrlicht“ genügen dem portugiesischen Filmkünstler für seine wilde Mischung aus Musical, Fantasy, Umweltbewahrungsgedicht und postkolonialem Märchen knappe 67 Minuten. Manche Verweise bekommen erst bei der Recherche einen größeren Kontext. Das Gemälde im Sterbezimmer etwa stammt von dem portugiesischen Maler José Conrado Roza. Es heißt „La Mascarade nuptiale“ (Die Hochzeitsmaskerade) und stammt aus dem Jahr 1788. Die acht Figuren, die darauf zu sehen sind, wurden aus Brasilien an den Hof der portugiesischen Königin Marie I. geschickt, die Regentin galt als Fan „exotischer“ Kuriositäten. In einem irrlichternden Film wie diesem muss man das alles aber so genau auch nicht wissen.