- RegieHermann Vaske
- ProduktionsländerDeutschland
- Produktionsjahr2018
- Dauer85 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- AltersfreigabeFSK 0
- IMDb Rating7.1/10 (9) Stimmen
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Filmkritik
Heute will und soll jeder dynamisch und kreativ sein. Kreativität steht ganz oben im Wertekanon der Leistungsgesellschaft, weshalb der Soziologe Andreas Reckwitz in seinem Buch „Die Erfindung der Kreativität“ (2012) von dem an Hysterie grenzenden Zwang zur Schaffung vom Neuen gesprochen hat, der für die meisten nur um den Preis der Erschöpfung zu haben ist, da sie sich unentwegt mit anderen vergleichen müssen. Was früher einmal die Spezialität von Künstlerzirkeln war, sei zum Modell für den Mainstream geworden.
Der soziale Druck, der durch den Kreativitätsimperativ entsteht, ist allerdings nicht das Thema von Regisseur Hermann Vaske. Prominente Kreative sind seit drei Jahrzehnten sein bewundertes Leitbild und bleiben es noch immer. Vielleicht, weil er in dieser Nachbarschaft selbst die Hoffnung hegt, im Wettkampf um eine schillernde Biografie zu bestehen? Stellt er deshalb so oft seine eigene Person in den Vordergrund? Ich und der Dalai Lama. Ich mittendrin auf der Straße mit den „Black Lives Matter“-Demonstranten. Ich und der Hollywood-Rebell Sean Penn – die Liste der Berühmtheiten und Querköpfe, die er rund um den Globus interviewt, ist jedenfalls prahlerisch lang.
Was verhindert den Geistesblitz?
Die Geheimnisse der Originalität erforschte Vaske bereits 2018 im ersten Doku-Teil seiner Trilogie und fragte in „Why are we creative?“ seine Gesprächspartner nach den Stimuli, die Geistesblitze befördern, von Spiritualität über Sex bis zu Geld und Ehrgeiz. Im zweiten Teil geht es nun um die Faktoren, die ungewöhnliche Problemlösungen geradezu verhindern. Auskunft erteilen unter vielen anderen auch die bildenden Künstlerinnen Marina Abramović und Shirin Neshat, von der auch Ausschnitte ihrer Filme zu sehen sind. Der inzwischen verstorbene Rockmusiker David Bowie gesellt sich zu T.C. Boyle oder zu der für Tibet Partei ergreifenden Sängerin Björk. Sie alle erkennen die Übeltäter in Zensur, Bürokratie und Geld, das in „Why are we creative?“ noch die Gruppe der motivierenden Quellen anführte.
Sie glauben allerdings auch, Gegenrezepte anbieten zu müssen, was den Stimmenreigen zu einem etwas pathetischen Plädoyer für mehr Courage anwachsen lässt. „Den Schmerz zu einer Waffe machen“, beschreibt etwa Shirin Neshat ihren Umgang mit unterdrückenden Maßnahmen, „eine Waffe, um etwas zu verändern, nicht zu zerstören und der Tyrannei die Stirn zu bieten“.
Natürlich kommt auch Angst wieder vor, als lähmende Emotion, die sich aber in einen antreibenden Widerstandsimpuls verwandeln kann, um Wege zu finden und die Begrenzungen durch ein diktatorisches Regime zu überwinden.
Aufnahmen aus Hongkong im Jahr 2019 sollen belegen, dass sich eine massenhafte Bewegung nicht in Schach halten lässt. Vaske interviewt Joshua Wong und andere Kämpfer, die von der bedrohten freien Meinungsäußerung berichten. „Filter lassen sich immer umgehen“, sagt eine Aktivistin gut gelaunt, und gerne würde man erfahren, wie es ihr inzwischen nach den massiven Reaktionen aus Peking ergeht. Wie hoch war der Preis, den sie für ihren kreativen Umgang mit Zensur zahlen musste? Vielleicht im dritten Teil?
Ein Kaleidoskop zorniger Köpfe
In der Herangehensweise beweist Vaske selbst keinerlei Ambitionen auf eine Machart, die vom ersten Teil abweichen würde. Das Collagieren der Interviews mit Animationselementen kam dort auch schon vor. Seine Erzählerstimme aus dem Off kehrt erwartbar wieder, man sieht ihn durch New York flanieren und beinahe im Sekundentakt den Ort wechseln, auf der irgendwann ermüdend langen Reise zum Kloster St. Florian in Österreich, wo Hermann Nitsch den Wiener Aktionismus mit blutigen Skandalaktionen wiederbelebt, bis nach Russland zu den Pussy Riots. Diese berichten von ihren Erfahrungen mit der Polizei, die ihren Auftritt im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft nicht verhindern konnte. Regisseurin Agnieszka Holland preist den Mut von russischen und iranischen Kollegen, die für ihre Überzeugung ins Gefängnis gegangen sind.
Nicht allein deshalb, weil eine zeitliche Chronologie fehlt, verbreitet der Fluss von Köpfen, die sich alle in ihrer zornigen Weltsicht einig sind, weder neue Einsichten noch so etwas wie eine erkennbare Dramaturgie. Wie schon der erste Teil funktioniert der Film wie ein Kaleidoskop, das immer neue Varianten der gleichen Materie generiert. Genau das ist sein Problem. Das Publikum wird durch die pure Tatsache in Spannung versetzt, wer es wohl demnächst ins Buch der Kreativitätsrekorde schafft.
Viele eitle Selbstdarstellungen
Am Ende bleiben einzelne unkonventionell kluge Statements von Jim Jarmusch oder dem exzentrischen Schriftsteller Sebastian Horsley im Gedächtnis. Der Rest erscheint in der Summe als eine mühsam zusammengesammelte Abfolge von öffentlichkeitswirksamen Selbstdarstellungen, der jede Idee einer möglichen Zuspitzung abgeht.