Vorstellungen
Filmkritik
Hat man es bei „Weißt du noch“ von Rainer Kaufmann etwa mit einer Hommage an „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ von Mike Nichols zu tun? Die erste halbe Stunde ist man beinahe geneigt, das zu glauben. Wie einst Richard Burton und Elizabeth Taylor liefern sich auch Senta Berger und Günther Maria Halmer auf engem Raum eine schonungslose Abrechnung ihrer mehr als 50 Jahre alten Ehe. Die Handlung des Kammerspiels wird über Dialoge und private Home-Videos vorangetrieben, von denen vor allem Senta Berger einen wahren Schatz aus ihrer Jugendzeit angesammelt hat.
Das Elend der Existenz
Ein Fernsehtechniker taucht zweimal kurz auf, vermag mit seinen Comedy-Einlagen die vergiftete Chemie des Paars aber nicht zu stören. Erst kreisen die Gespräche routiniert um Hörgeräte, Impotenz, Kartenspiele mit den besten Freunden, Hüftschmerzen und Hundehaufen, die der Nachbar nicht weggeräumt habe. Dann wird der Ton schärfer. Mann und Frau zanken sich unentwegt, unterstellen sich gegenseitig Selbstmitleid, Lebensangst und eine fortschreitende Demenz, falsche Erziehungsmethoden gegenüber den längst erwachsenen Kindern, zu wenig Aktivität im Alltag und die Schuld an einer überstandenen Krebserkrankung oder einer allzu „durchschnittlichen“ Existenz. Immer wieder baut der eine sein Selbstwertgefühl auf Kosten des anderen auf und versucht seine Sicht der Dinge dozierend durchzusetzen, ohne jegliche Bereitschaft, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen.
Irgendwann, als es darum geht, den Hochzeitstag zu feiern, spricht Marianne Klartext. Die einstige Lehrerin leidet an der Monotonie, in der beide stecken. Der immer gleiche Mix aus Einkaufen, Kochen und Putzen füllt sie nicht aus. Sie vermisst den Sex, beichtet einen drei Jahre alten Seitensprung und möchte wieder verreisen. Der chronisch mürrische Gatte Günter wimmelt ihre Wünsche ab, überrascht sie aber immerhin mit einem Geschenk, das ihre verrostete Beziehung implodieren lässt.
Ein vergiftetes Geschenk
Er hat von einem Freund, den Konstantin Wecker mit Sinn für einen nachhaltigen Kurzauftritt spielt, Pillen erhalten, die für kurze Zeit dabei helfen sollen, das Erinnerungsvermögen erheblich zu steigern. Und tatsächlich können beide plötzlich die Kreuzworträtsel in Sekundenschnelle lösen. Sie erinnern sich auch an alle Details aus der Anfangszeit ihrer Ehe, an Moment des Kennenlernens, die vielen Reisen und das Heranwachsen der Kinder. Marianne holt plötzlich ihre alten Kleider heraus und Günter verbrennt im Garten Aktenordner, in denen die Unterlagen für den Hauskauf oder Kredite für das Studium der Kinder stecken. Für ihn erzählen sie vor allem von der Verantwortung, die er über Jahrzehnte für die Familie tragen musste, obwohl er eigentlich selbst „etwas Großes“ schaffen wollte.
Das ausgelassene Erinnern an ihre Höhen und Tiefen versetzt das Paar unerwartet in Feierlaune und die Handlung in den Märchenmodus. Sie trinken Champagner und tanzen miteinander, schwören sich ewige Liebe und planen endlich wieder zu verreisen. Da sie aber fürchten, dass die romantische Intimität am nächsten Tag verflogen sein könnte, verteilen sie überall Merkzettel, die sie an ihre Pläne und wahren Bedürfnisse erinnern sollen.
Umso größer ist die Erleichterung, als Günter nach dem unbequemen Schlaf auf dem Wohnzimmersofa wieder ganz der Alte ist und einen der Zettel wenig charmant mit dem Satz kommentiert: „Willst du mich umprogrammieren?“ Hält die Realität wieder Einzug, ist das Wunschdenken ist vorbei? Nicht im deutschen Kino, in dem Fernsehredaktionen verlässlich im Drehbuch ihre glättenden Spuren hinterlassen. Nach einem kurzen Blackout zieht sich der Schleier des resignativen Anfangs zurück und das Happy End kann angepeilt werden.
Kein kraftvolles Erwachen
Diese Auflösung mag das Publikum sentimental stimmen, nimmt aus dem zunächst sorgfältig aufgebauten Spannungsfeld aber jedes Aroma des Authentischen heraus. Das ist bedauerlich, denn die Darsteller zeigen ausreichend Mut und Können, um auch eine ernüchternde Zuspitzung meistern zu können. Auf ein böses, kraftvolles Erwachen wartet man allerdings vergeblich. Nach dem Rausch folgt der Harmoniekater.