Vorstellungen
Filmkritik
Während Japan von nicht enden wollenden Regenschauern heimgesucht wird, kreuzen sich in Tokio zufällig die Wege einiger Außenseiter. Dabei wirkt das notorisch schlechte Wetter, als würde sich darin der innere Schmerz dieser Figuren spiegeln. Da wäre etwa der junge Ausreißer Hodoka, der in der großen Stadt sein Glück sucht, aber schon in der ersten Nacht obdachlos wird. Oder der erwachsene Schmierenjournalist Keisuke, der zwar gerne Sprüche klopft, aber eigentlich dem Sorgerecht für seine Tochter hinterhertrauert. Das hat er verloren, weil er nach dem Tod seiner Frau dem Alkohol verfallen ist. Und auch das Waisenmädchen Hina wurde nicht vom Schicksal geschont: Als Kellnerin in einem Fast-Food-Lokal versucht sie mühsam, sich und ihren kleinen Bruder über die Runden zu bringen. Für sie alle scheint ein sorgenfreies Leben so weit in der Ferne zu liegen wie der nächste Sonnenschein.
In Makoto Shinkais („Your Name“) neuem Anime „Weathering with You – Das Mädchen, das die Sonne berührte“ geht es jedoch gerade darum, das Unwahrscheinliche möglich werden zu lassen. Den Realismus, mit dem er von einer modernen Welt erzählt, in der es scheinbar weder gut bezahlte Jobs noch intakte Familien gibt, bricht er mit einer übernatürlichen Wendung: Hina entpuppt sich als „Schönwetter-Mädchen“, das mit einem Gebet zumindest für kurze Zeit die Sonne scheinen lassen kann. Gemeinsam mit Hodoka und ihrem Bruder macht sie daraus ein profitables Geschäft. Ob für einen Flohmarkt, eine Hochzeit oder auch nur, damit Keisuke mit seiner Tochter im Park spielen kann: Sobald Hina die Hände faltet, klärt sich der Himmel auf. Schon bald bekommt es das Trio jedoch nicht nur mit dem Jugendamt zu tun, auch die übermäßig beanspruchten Fähigkeiten des Mädchens haben gravierende Folgen.
Humorvoll und unbeschwert erzählt
Das vielleicht erstaunlichste an „Weathering with You“ ist, wie humorvoll und unbeschwert er von Themen wie Armut, Verlust und Einsamkeit erzählt. Tokio wirkt in den wirklichkeitsnah und detailreich animierten Bildern wie ein endloses graues Betonmeer, in dem man schnell zu versinken droht. Trotzdem ist immer jemand da, wenn es kritisch wird. Hina peppelt den hungrigen Hodoka mit einer Suppe auf, der bewahrt sie später davor, sich zu prostituieren und Keisuke rettet wiederum Hodoka das Leben, nimmt ihn bei sich auf und lässt ihn – wenn auch nicht ganz uneigennützig – für sein Käseblatt über paranormale Phänomene schreiben.
Die Bilder des Films wirken manchmal vielleicht ein bisschen zu glatt poliert, aber der Glanz auf den Gesichtern der Protagonisten gibt eine Ahnung von ihrer inneren Strahlkraft. Und auch genügend Witz steckt in „Weathering with You“. Oft sind es kleine Peinlichkeiten und Verwechslungen, die für Erheiterung sorgen. Den Rest erledigt ein niedliches Kätzchen, das immer wieder ins Bild tapst.
Mit seiner Welt, die im Dauerregen zu versinken droht, erinnert „Weathering with You“ an einen Science-Fiction-Film, in dem die Zukunft der Menschheit auf dem Spiel steht. Wenn es in diesem Genre um die Rettung des Planeten geht, kommt es nicht selten zu einem Konflikt, in dem das Glück des Einzelnen für das Allgemeinwohl geopfert werden muss. Mit solchen, allzu vernünftigen und weitsichtigen Entscheidungen hält sich Shinkai glücklicherweise nicht lange auf. Die Liebe, die Hodoka schon bald für Hina empfindet, ist so überwältigend, dass alles andere zweitrangig wird.
Tief hinein in die Gefühlswelt der jungen Clique
„Weathering with You“ fühlt sich nicht nur am wohlsten, wenn er sich ganz auf seine junge Clique, ihre Sorgen und Spinnereien konzentriert, sondern taucht auch tief in ihre Gefühlswelt ein. Ein gewisser Hang zum Kitsch und ein von japanischen Popsongs angefeuertes Pathos fühlen sich hier schon deshalb nicht falsch an, weil der Film von jungen Menschen erzählt, die gerade erst beginnen, sich als eigenständige und empfindsame Wesen wahrzunehmen. Shinkai nimmt dabei ganz ihre Perspektive ein und sieht sie als unverrückbares Zentrum des Universums. Wenn man gerade von der Wucht der ersten Liebe überrollt wird, ist plötzlich auch ein möglicher Weltuntergang nur noch nebensächlich.