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Filmkritik
Ebenso ursprünglich wie todesnah sind die ersten Bilder des Films: ein flächendeckendes Gemisch aus entfesselten Körpern und zerquetschten Tomaten. Mittendrin in der Menge eine Frau, die sich wie im Rausch der Tomaten-Körper-Orgie (oder -schlacht) hingibt – ein Szenario, das bedrohlich wirkt und gleichzeitig vom Glück der Selbstauflösung erzählt. In der Realität kann Eva Khatchadourian, die Frau im Tomatenbad, tatsächlich nur davon träumen. Was ihr widerfahren ist, lässt sich nicht auslöschen. Auch wenn sie sich noch so sehr die Hände wund schrubbt, um die rote Farbe, mit der die Nachbarn ihre Hauswand beschmieren, wieder loszuwerden: das Rot haftet an ihr, so wie Kevin für immer an ihr haftet. Nicht das Rot von Tomaten und nicht das von Farbe, sondern das Rot von Blut. Hohlwangig und mit leerem Blick geistert Eva durch Reste eines kaputten Lebens. Sie betäubt sich mit Tabletten und Alkohol und wird auf offener Straße von einer Frau geohrfeigt, was sie widerspruchslos über sich ergehen lässt. Flashbacks dringen immer mehr in die äußere Realität ein, zunächst noch bruchstückhaft, unsortiert, verschwommen und höchst subjektiv, bis sie allmählich in eine kohärentere Form der Rückblende übergehen. Kevin, Evas Sohn, hat in seiner Schule ein Massaker verübt. Lynn Ramsay schildert ein Trauma, das noch nicht wirklich im Posttraumatischen angekommen ist. Sie tut das mit Bildern, die nicht unbedingt subtil, aber absolut virtuos, stilsicher und vor allem eindringlich von Selbstverlust, seelischer Last und dem verzweifelten Zusammensuchen von Erinnerungsfragmenten erzählen – Verwendung finden u.a. Unschärfen, Zeitlupen, delirierende Sound- und Musikeffekte, abrupte Brüche und eine um Orientierung ringende Handkamera. Wenn „We Need to Talk About Kevin“ eines nicht tut, dann das: über Kevin zu sprechen. Der Film steckt vielmehr immer noch mittendrin in Evas Schock, versucht mit Bildern, das Erlebte in einem ersten Schritt zu durchdringen; es analytisch zu verarbeiten, in Sprache zu fassen, wird in die Zukunft verschoben: Wir müssen über Kevin sprechen. In seinem Kern erzählt der Film eine von Beginn an missglückte Mutter-und-Sohn-Beziehung. Schon als Eva von ihrem gutmütigen Mann Franklin schwanger ist, spürt man ein vages Unbehagen, das sich verfestigt, als Kevin auf die Welt kommt und sie mit seinen Schreiattacken derart an den Rand der Verzweiflung bringt, dass sogar das Wummern eines Presslufthammers Erholung verspricht. Das Drama ihrer Befremdung und Überforderung könnte dabei kaum sichtbarer werden als in Tilda Swintons verkrampftem Lächeln, mit dem sie das kreischende Baby zu beruhigen sucht, ein Lächeln, das so falsch ist, dass es ihr Gesicht zur grotesken Fratze entstellt. Eva gelingt es nicht, so etwas wie eine normale Verbindung zu Kevin aufzubauen, der sich vom unkontrollierbaren Schreibündel zum renitenten und manipulativen Kind entwickelt, das sich mit gezielten Sabotageakten gegen seine Mutter auflehnt, die er zudem auf unheimliche Weise durchschaut. Der Film zeigt dabei nicht die Normalität des Alltags, sondern allein die Spitzen von Kevins gewaltsamen Überschreitungen: wie er absichtsvoll in die Windeln macht, nachdem sie diese gerade erst gewechselt hat, wie er die Mutter kalkuliert gegen den Vater ausspielt und sie mit seiner vermeintlichen Komplizenschaft in die Falle lockt. Und er zeigt seine gegen Farbstifte, Essen und das Meerschweinchen seiner Schwester gerichteten Zerstörungshandlungen, die im Teenageralter in das Massaker münden. Dessen Ursachen und Umstände zu ergründen, verweigert Ramsay jedoch entschieden; angedeutet werden lediglich Evas Widerwillen, ihre Freiheit als Reisejournalistin und überzeugte New Yorkerin zu verlieren und mit der Familie in die spießige Vorstadt zu ziehen. Stattdessen verortet der Film Kevins Monstrosität in einen Bereich, in dem die Auswirkungen der familiären Sozialisation (eine andere existiert in dem Film nicht) zwar nicht ausgeschlossen, aber ganz von Kevins essenzieller Bösartigkeit überlagert werden. Mit der Fokussierung auf Kevins böse Blicke, sein geradezu teuflisches Lächeln und der Inszenierung des Unheimlichen ließe sich „We Need to Talk About Kevin“ nur allzu leicht als eine Annäherung an das Genre des Horrorfilms verstehen, schließlich setzt der Film seine Effekte sehr gezielt und fast schon kalkuliert ein. Doch Ramsay ist weder an Momenten des Übersinnlichen noch an der schauervollen Inszenierung des Dämonischen interessiert. Das Böse passt in seiner Überdeterminiertheit, Insistenz und Redundanz vielmehr ganz in Ramsays Konzept gesteigerter Intensitäten, das dem Nachwirken des Traumas geschuldet ist: das Böse, das Rot, Evas Wahrnehmung, die nie auf das Ganze gerichtet ist, sondern sich im Detail verbeißt – Kevins pickeliges Gesicht, Kevin, wie er seine Fingernägel abbeißt, Kevin, wie er in eine Lychee beißt und ihm dabei der Saft aus dem Mund rinnt. „We Need to Talk About Kevin“ will und kann das Massaker nicht erklären, der Film ringt selbst unaufhörlich nach Luft, ein Taumeln am Abgrund.