- RegieJanna Ji Wonders
- ProduktionsländerDeutschland
- Dauer110 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- AltersfreigabeFSK 6
- TMDb Rating7.8/10 (5) Stimmen
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Porträt und Zeitbild, intimes Tagebuchbekenntnis und epische Epochenchronik: all dies ist Janna Ji Wonders’ packend erzählte Familiengeschichte, die fünf Generationen umfasst, sich auf die Frauen der Familie konzentriert und den Bogen mühelos vom Persönlichen zum Allgemeinen spannt.
Dass Kinder zu ihren Großeltern ein entspannteres Verhältnis haben als zu ihren Eltern, ist ein bekanntes Phänomen; hier aber begegnet man einer besonders schönen, anrührenden Variante, denn das Verhältnis der Regisseurin zu ihrer Oma Norma ist nicht nur entspannt, sondern von herzwärmender Innigkeit und Komplizenschaft. Neben vielen anderen schönen Dingen enthält der Film eines der schönsten Oma-Porträts.
Das Verhältnis zur Mutter Anna erscheint im Vergleich dazu angespannter, zerrissener. Doch das bedeutet nicht, dass die Mutter schlecht wegkommen würde. Im Gegenteil. Anna stellt sich tapfer und offen den Herausforderungen der Tochter/Regisseurin, die als Erforscherin der Familiengeschichte mit ihrem Wahrheitswillen gerade auch dort nachfragt, wo es weh tut, wo umstrittene oder traurige Dinge zur Sprache kommen müssen. Das sind schmerzhafte Momente, denen die Mutter nicht ausweicht. Momente, aus denen der Film seine besondere Überzeugungskraft gewinnt.
Eine matriarchale Linie
In der ersten, bezaubernden Szene stellt sich Janna als „Fee vom Walchensee“ vor. Sie ist fünf Jahre alt, trägt einen Blumenkranz im Haar, und kann auch hübsch feenhaft erzählen. Ein Blumenkind, dessen Urgroßmutter 1920 das Ausflugscafé am Walchensee begründete, das es noch heute gibt: „Stammsitz“ der Familie, die der Film in matriarchaler Linie präsentiert, ein Ruhepol und Zufluchtsort, den die Frauen von der Küche aus regieren.
Der tiefgründige See, das herrliche Alpenpanorama, ein idyllischer und magischer Ort, an dem alle Frauen eine Aura von See-Fee und Undine-Geheimnis erhalten. Egal, wie verschieden die Lebensentwürfe auch aussehen mögen – das Spektrum reicht von der sesshaft-pflichtbewussten Norma bis zu Anna, die sich weltenbummlerisch auf spirituelle Sinnsuche begibt –, so gilt doch für alle Frauen, dass sie ihre eigenen Wege gegen das Dreinreden der Männer und gegen patriarchale Strukturen behaupten mussten und müssen.
Ein rhythmisch markant inspirierter Erzählfluss
Die Filmemacherin kann mit vollen Händen aus einem reichhaltigen Material schöpfen, denn in der Familie wurde viel fotografiert und gefilmt, und sie besitzt das Talent, ihrem Mix aus Archivmaterial-Zeitreisen und aktuellen Interviews ein markantes rhythmisches Gepräge zu geben. Janna Ji Wonders ist nicht nur Filmemacherin, auch Sängerin der Band YA-HA! und hat zahlreiche Musikvideos realisiert. Ihr musikalisches Talent inspiriert den filmischen Fluss, sowohl den Bilderrhythmus wie die Erzähldramaturgie.
Auf diese Weise arbeitet sie entscheidende Lebenswendepunkte plastisch heraus, zum Beispiel bei der USA-Mexiko-Reise, die Anna mit ihrer Schwester Frauke in den 1960er-Jahren unternahm. Mit Dirndl, Hackbrett und Gitarre machten sie sich als „bavarian folkmusic“-Duo auf den Weg, interessierten sich in Mexiko auch für schamanistische Rituale und den Peyote-Kult, und gerieten in San Francisco geradewegs in den Summer of Love, mitten ins Hippie-Herz des weltweiten Aufbruchs der Jugend.
Fortan beschritten die Schwestern Pfade der Selbstfindung und spirituellen Sinnsuche, wozu Ashram-Besuche in Indien und Aussteiger-Trips in mittelmeerische Gefilde gehörten. Aber Träume zerplatzten, Sehnsüchte scheiterten. Immer deutlicher offenbart sich das Scheitern jugendlichen Aufbruchs als innerstes Thema dieser faszinierenden Familienchronik. Scheitern kann harmlos sein, ein Prozess notwendiger Ernüchterung und Reifung; es kann aber auch, wie bei Frauke, zum tragischen Absturz führen. Wie beim hochfliegenden, jugendlich übermütigen Ikarus, der der Sonne zu nahekam.
Es bleibt Raum für die hellen Lebenspassagen
Was genau zu Fraukes Tod bei einem Autounfall geführt hat, bleibt offen. War es tatsächlich ein Unfall? Ein Selbstmord? Oder ein Blackout in geistiger Verwirrung? Ex-Kommunarde Rainer Langhans, der einzige Mann, der mit längeren Interviewpassagen im Film präsent ist, resümiert: „Selbstfindung… Meditation… Drogen… kann auch schiefgehen!“ Es zeichnet alle Porträts in „Walchensee Forever“ aus, dass sie nicht auf endgültige Erklärungen hinauswollen. Niemand soll in Schubladen landen. Anfangs ertappt man sich dabei, definitive Einordnungen der Charaktere einfordern zu wollen, doch allmählich lernt man, dass es viel spannender ist, die Charaktere in ihren Widersprüchen, Geheimnissen und Eigenwelten vor Augen zu haben.
Schon in der ersten Szene mit der fünfjährigen Blumenkind-Janna taucht die Frage nach der „kürzlich verstorbenen Tante Frauke“ auf. Die Frage nach Fraukes Schicksal war für die Regisseurin der entscheidende Impuls, den Film zu machen. Bei allen Schatten, die das Scheitern auf Schicksale und Lebenswege werfen kann, lässt das vielschichtige, bunte Erzählgewebe doch gebührend Raum für die hellen Lebenspassagen, für das Glück des abenteuerlichen Aufbruchs – und für die Möglichkeiten der Heimkehr an einen so magischen Ort wie den Walchensee.