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Filmkritik
Die Stadt Nazareth an einem sonnigen Wintertag. Weihnachten steht vor der Tür. Im Radio werden Meldungen über verstorbene Mitbürger verlesen. Ein älterer Mann sitzt im Auto auf dem Beifahrersitz und raucht. Eigentlich hat es ihm der Arzt verboten. Ein junger Mann packt eine Kiste in den Kofferraum. Bevor er sich ins Auto setzt, lässt der Alte die Zigarette verschwinden.
Abu Shadi (Mohammad Bakri) und sein Sohn Shadi (Saleh Bakri) müssen unzählige Einladungskarten persönlich austragen. So will es die Tradition. Glücklicherweise ist die Einladung nicht für eine Trauerfeier, sondern für die Hochzeit von Abu Shadis Tochter Amal (Maria Zreik).
Zwei Lebenswelten prallen aufeinander
Vater und Sohn fahren deshalb durch Nazareth, trinken Kaffee, tauschen Höflichkeiten mit Verwandten, Nachbarn und Freunden aus, doch im Auto treten vermehrt Spannungen zwischen Vater und Sohn auf. Wenn sie alleine im Wagen sitzen, kommen plötzlich Vorwürfe aus der Vergangenheit zur Sprache oder Unstimmigkeiten über den Müll auf der Straße, über Musik oder die engstirnige Mentalität, die nach Ansicht des Sohnes den christlich-palästinensischen Mikrokosmos der Stadt dominiert.
Zwei Lebenswelten prallen hier aufeinander: die des Sohnes, der die Heimat verlassen hat, in Italien als Architekt arbeitet und mit der Tochter eines PLO-Politikers liiert ist. Und die des Vaters, eines geschiedenen Lehrers Mitte 60, der sich mit der eigenartigen Situation in Nazareth arrangiert, wo die meisten palästinensischen Israelis leben.
Als der Vater auch noch Ronni zur Hochzeit einladen will, einen jüdischen Freund, der sich für seine Berufung zum Schulleiter eingesetzt hatte, platzt dem Sohn der Kragen. Dieser Ronni sei doch vom israelischen Geheimdienst und habe ihn als Schüler nach pro-palästinensischen Demonstrationen immer drangsaliert.
Eine gemeinsame Zigarette
Aber auch die Gegenwart entzweit Vater und Sohn. Abu Shadi hat nicht nur die Liaison seines Sohnes mit der Tochter eines PLO-Politikers verschwiegen, sondern auch dessen Architekturstudium; statt dessen erzählt er, dass Shadi als Arzt in Italien arbeite. Bei ihrer Tour macht er den Sohn auch immer wieder auf heiratsfähige junge Frauen aufmerksam. Deutlich wird, dass er Shadi gerne wieder in Nazareth hätte, zumal er nach der Hochzeit der Tochter alleine im Haus bleiben wird. Manchmal spürt man, wie erschöpft er ist, einsam und krank, auch wenn er sich mit allen Mitteln bemüht, die Kontrolle über sein Leben nicht zu verlieren.
Die Lage verkompliziert sich, als seine Ex-Frau, die Mutter von Amal und Shadi, mitteilen lässt, dass sie nicht zur Hochzeit kommen könne, da ihr neuer Ehemann im Sterben liege. Da werden selbst eingefleischte Nichtraucher rückfällig. Am Ende rauchen beide eine Zigarette. Sie sind sich ein Stück nähergekommen; ob sie sich auch besser verstehen, lässt der Film offen.
Von Tür zur Tür, von Haus zu Haus
„Wajib“ ist ein sehr menschliches, so subtiles wie vielschichtiges Road Movie, das sich in konzentrischen Kreisen, durch verstopfte Straßen bewegt, von Tür zu Tür und Haus zu Haus. Der Film kreist um die Feier einer Familie, die längst zerbrochen ist, und porträtiert dabei den Mikrokosmos christlicher Palästinenser in Nazareth, eine kleine Welt mit vielen Traditionen und wenigen Bewegungsmöglichkeiten. Die anrührende Vater-Sohn-Geschichte der palästinensischen Regisseurin Annemarie Jacir wahrt die Balance zwischen der Tragödie menschlicher Einsamkeit und feiner Situationskomik, zwischen politischer Bestandsaufnahme, ethnographischer Studie und dem kulturübergreifenden Konflikt zwischen Söhnen und Vätern. Die Kamera konzentriert sich nicht nur auf den zentralen Konflikt, sondern gibt auch vielen Nebenfiguren und Nebenepisoden Raum, Einzel- und Familiengeschichten. Besonders überzeugend ist die zurückhaltende und gerade dadurch so eindringliche Darstellung des Schauspieler-Duos Mohammad Bakri als Abu Shadi und Saleh Bakri als Shadi, die beide auch im wirklichen Leben Vater und Sohn sind.