- RegieJörg Adolph
- ProduktionsländerDeutschland
- Dauer106 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- IMDb Rating6.6/10 (7) Stimmen
Vorstellungen
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Filmkritik
Vögel zu beobachten sei „eher eine Lebensform als ein Hobby – man tut es eigentlich immer“. Diese Einschätzung belegt der Film von Jörg Adolph mit jeder seiner 106 Minuten. „Vogelperspektiven“ porträtiert Menschen, die ihr Leben dem Beobachten von Vögeln widmen und darüber zu Vogel- und Naturschützern geworden sind.
Sie sind wandelnde Vogellexika, die mit großer Wärme und Zugewandtheit, aber auch einem ausgeprägten Beschützerinstinkt über und für die gefiederten Tiere sprechen. Weltfremde Nerds sind es hingegen nicht, auch wenn sie den Kopf sprichwörtlich in den Wolken haben. Ganz im Gegenteil: Die Beschäftigung mit der Vogelwelt lässt zwangsläufig auf die vielfältigen Bedrohungen stoßen, denen die Tiere ausgesetzt sind.
Zwei Protagonisten, die sich ergänzen
Viele Populationen verzeichnen einen dramatischen Rückgang. Versiegelte Flächen, industrielle Landwirtschaft und Menschen in der Freizeit lassen die Lebensräume der Tiere immer mehr schrumpfen. Das extreme Artensterben bei den Insekten führt überdies zu immer weniger Nahrung. Dazu kommt der Klimawandeln, der auf mannigfache Weise die Lebensgrundlagen zerstört, etwa durch immer extremere Witterungsverhältnisse.
Aber auch fehlende Bäume und damit fehlende Nahrung in der Sahara oder die Vogeljagd auf Malta dezimieren die Anzahl der Zugvögel – oder hierzulande die Kollateralschäden durch bleihaltige Munition für aasfressende Vögel. Für den Ornithologen Norbert Schäffer, den Vorsitzenden des Landesbunds für Vogel- und Naturschutz (LVB) in Bayern, gilt es zahlreiche, höchst unterschiedliche und überdies internationale Aufgabenfelder zu beackern. Er ist der zentrale Protagonist von „Vogelperspektiven“. Adolph hat den unermüdlichen Vogelschützer in den vergangenen Jahren bei vielen internen und externen Terminen begleitet.
Die zweite Hauptfigur ist Arnulf Conradi, ein früherer Verleger und Birdwatcher seit Kindheitstagen, der in der ländlichen Uckermark lebt und vor einigen Jahren das Buch „Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung“ veröffentlicht hat. Im Gegensatz zu Schäffer, der im Film von der Redaktionsbesprechung für das aktuelle Mitgliedermagazin seines Verbandes zum Pressetermin mit dem bayerischen Ministerpräsidenten oder zur Begehung einer Spatzenkolonie in München hetzt, ist Conradi für die philosophisch-poetische Ebene zuständig; die von ihm selbst eingesprochenen, ebenso schönen wie klaren Texte vermitteln den Reiz der Vogelbeobachtung auf wunderbar einfühlsame Weise.
Bartgeier in den Berchtesgadener Alpen
Auf einen eigenen Off-Kommentar hat Adolph verzichtet. Dafür lässt er neben Conradis Gedanken Presseerklärungen und Social-Media-Posts des LBV verlesen, die vom oft ziemlich kleinteiligen und zähen Kampf für den Vogelschutz künden. Aus den On- und Off-Stimmen entsteht eine Collage, die mal stimmungsvoll und mit leisem Humor, mal eher nüchtern von einer großen Zuneigung zu ihrem Gegenstand geprägt ist. Auf der visuellen Ebene verhält es sich ähnlich: Neben sinnlichen Aufnahmen der spektakulären Lufttänze riesiger Vogelschwärme, Porträts unfassbar schöner oder skurriler Arten und den überwältigenden Bildern der durch die Lüfte segelnden Bartgeier, die 2021 in den Berchtesgadener Alpen ausgewildert wurden, stehen eher schlichte, aber passend funktionale Bilder von Konferenzen, Presse- oder Ortsterminen sowie nächtlichen Exkursionen mit Vogelschützern.
Gerade bei Letzteren scheint die Kamera von Daniel Schönauer fast unsichtbar zu sein, die Editorin Anja Pohl webt daraus eine stimmige und abwechslungsreiche Montage, die durch die elektronischen Beats auf der von Acid Pauli gestalteten Musikspur dezent akzentuiert wird.
Voller Hingabe und Verständnis
Jörg Adolph hat sich mit geduldigen, zurückgenommenen Dokus über künstlerische Schaffensprozesse einen Namen gemacht, etwa über den Autor John von Düffel, die Pop-Gruppe „The Notwist“ oder das Oberammergauer Passionsspiel. Nur um seinen Film „Elternschule“ (2018) entbrannte eine heftige Debatte, die sich aber auf inhaltliche, nicht auf formale Fragen bezog.
„Vogelperspektiven“ ist ein ruhiger, alles Plakative meidender Film, der voller Hingabe und Verständnis vor allem beobachtet; Schärfe oder Kritik sind Adolph eher fremd. Es sind die verschlungenen Pfade und die Mühen der Ebene, die Adolph interessieren, die wirklichen Arbeitsprozesse. Das mag gelegentlich vielleicht etwas langatmig sein, und sonderlich charismatisch ist Norbert Schäffer auch nicht; allerdings vermag er das mit Arbeitseifer, Kompetenz und einer verblüffenden Unermüdlichkeit wettzumachen. Für das Charisma sind hier ohnehin andere zuständig: Vögel wie Braunkehlchen oder Trottellumme, Uferschnepfe und Bartgeier. Sie erledigen diese Aufgabe mit Bravour!