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Filmkritik
Sevilla in der Vorweihnachtszeit: Eine junge Frau schaut auf eine verblichene Mustertapete: Blüten in Blassrosa liegen über graugrünen Blättern. So alt wie die Tapete sind auch die Schwarz-weiß-Fotos und die Möbel. Während der redselige Immobilienmakler Oscar (Carlos Areces) die Immobilie in allen Tönen preist, liegt Abscheu, aber auch die Sehnsucht im Blick der Frau. Es ist nicht ihr Stil. Aber die Wohnung ist ein einmalig günstiges Angebot: 100 Quadratmeter mit Blick auf die Giralda, das Wahrzeichen Sevillas. Für Sara (Juana Acosta) wäre alles perfekt, gäbe es nicht eine Unannehmlichkeit: Lola (Kiti Mánver) hat schon mehrere Bypässe und steht kurz vor ihrem 75. Geburtstag. Sie braucht Geld und will deshalb ihre Wohnung verkaufen, aber sie will sie nicht verlassen. Erst wenn Lola stirbt, könnte Sara dort einziehen.
Chaos und Kontrolle
Lola ist spontan und nimmt kein Blatt vor den Mund. Von großen Plänen und Prinzipien hält sie nichts, die Friedhöfe sagt sie, seien voller guter Menschen mit guten Absichten. Sie ist ein freier Geist und chaotisch „Das ist leider lustig!“, sagt sie immer wieder. Sara dagegen lacht wenig. Sie ist angepasst und effizient, hat ihr Leben im Griff und möchte nie die Kontrolle verlieren. Aber tief im Inneren ist sie einsam, und so freundet sie sich mit Lola an. Die besucht Sara überraschend auf der Arbeit und bittet sie, sie zum Bestattungsunternehmen zu begleiten, um einmal Probe liegen zu können.
Sara erzählt ihr, dass ihr Ehemann Daniel eine Geliebte hat, ähnliches ist Lola auch passiert. Gemeinsam fahren die beiden Frauen nach Algeciras, um Lolas Exmann zu treffen, damit Lola ihm verzeihen kann. Aber die Gesundheit macht beiden einen Strich durch die Rechnung, Sara muss fast alles in ihrem Leben hinterfragen und zitiert John Lennon: „Das Leben ist das, was dir passiert, wenn du gerade andere Pläne hast.“ Sie könnte auch sagen: Katastrophen kommen, wenn du gerade vor etwas ganz anderem Angst hast.
„Vier Wände für zwei“ zieht sowohl seine Spannung als auch seine komischen und anrührenden Momente aus dem Gegensatz der beiden Charaktere. Das Zusammenspiel der beiden Hauptdarstellerinnen ist brillant. Die Männer bleiben hier nur Randfiguren, verstärken aber den Rhythmus des Films: Schauspielveteran José Sacristán steht als wortkarger Exmann Lolas für die melancholische Komponente, Carlos Areces ist in ständig wechselnden Berufen als Immobilienmakler, Rettungssanitäter, Kellner und Portier für einen Running Gag des Films zuständig.
Ein neuer Blick auf Sevilla
„Vier Wände für zwei“ ist das Spielfilmdebüt des Schauspielers und Drehbuchautoren Bernabé Rico. Der Film beruht auf dem Theaterstück „100 m²“ von Juan Carlos Rubio, der es mit dem Regisseur zusammen ins Drehbuch für eine Tragikomödie umwandelte. Beide gehören zu einer Gruppe von jungen engagierten Filmschaffenden, die dem andalusischen Film in den letzten Jahren neue Impulse gegeben haben. So zeigt dieser Debütfilm ein völlig ungewohntes Bild Sevillas, jenseits aller Folklore und pittoresker Klischees. Statt erheiternder Liebesgeschichten inmitten kollektiver iberischer Fröhlichkeit zwischen Frühlingsblüten und hellem Sonnenlicht erzählt er von Einsamkeit und Nähe unter einem grauen vorweihnachtlichen Himmel, aus dem sogar Schneeflocken fallen.
Der soziale Hintergrund bleibt in dieser menschlichen Komödie sehr konkret. Bernabé Rico gelingt eine Gratwanderung zwischen Lachen und Weinen, die an den anrührenden Humor der Komödien Frank Capras und Mario Monicellis erinnert, aber auch an jene Meisterwerke des schwarzen Humors, die trotz der Franco-Diktatur entstehen konnten, wie „Placido“ (1961) von Juan Luis Garcia Berlanga oder „Die kleine Wohnung“ (1958) von Marco Ferreri und Isidoro M. Ferry. Wie sie erzählt „Vier Wände für zwei“ komisch und mit feiner Melancholie von Wohnungsnot, Existenzängsten in Wirtschaftskrise und Leistungsgesellschaft, Einsamkeit und Vereinzelung.