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Filmplakat von Vergiss mein nicht!

Vergiss mein nicht!

108 min | Documentary | FSK 12
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Joel hat Liebeskummer. Mittels einer neuen Behandlung lässt er sich einen Teil seines Gedächtnisses löschen. Die Welt ist wieder in Ordnung für ihn, doch dann trifft er zufällig seine Ex-Freundin und verliebt sich prompt wieder in sie. (aga)
Obwohl sich Gretels Krankheit immer wieder deutlich zu erkennen gibt, verliert die Frau nicht ihren Lebensmut und steckt damit auch ihren Sohn an. Durch ihre offene und ehrliche Art lernt David seine Mutter noch einmal ganz neu und von einer ganz anderen Seite kennen. Durch den Film setzt er ein Mosaik seiner Familiengeschichte zusammen, das als Krankheitsfilm gedacht war und schlussendlich als Liebesfilm endet.

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Filmkritik

Wäre es nicht eine gute Idee, wenn man sich am Ende einer Liebesbeziehung die Erinnerungen daran weglöschen lassen könnte, um sich so vor dem Schmerz des Verlustes zu schützen? Dies jedenfalls ist die Ausgangsidee von „Vergiss mein nicht!“, dem zweiten Spielfilm des Videoclip-Regisseurs Michel Gondry nach einem Drehbuch von Charlie Kaufman („Being John Malkovich“, fd 34 219), dessen erstaunliche Qualität daher rührt, dass er diesen Gedanken differenziert und konzentriert durchdekliniert und mit allerlei Volten überrascht.

Am Anfang steht eine Ausbruchsfantasie. Eines Morgens, es ist der Valentinstag, beschließt der melancholische Joel Barish beim Warten auf den Vorstadtzug, der ihn ins Büro bringen soll, den Bahnsteig zu wechseln. So fährt er nach Montauk, an die Küste. Dort ist es zwar auch erbärmlich trist, aber er begegnet einer jungen Frau, mit der er auf dem Heimweg ins Gespräch kommt. Sie heißt Clementine Kruczynski und wird – soviel vorweg – von Kate Winslet bezaubernd gespielt. Die beiden verbringen eine Nacht zusammen, eine romantische Liebesgeschichte beginnt. Doch bereits in der nächsten Szene sieht man Joel weinend im Auto sitzen: Nach fast zwei Jahren hat sich das Paar getrennt. Clementine hat schon einen neuen Freund und scheint Joel nicht (mehr) zu kennen. Durch einen Zufall erfährt er, dass Clementine bei der Firma „Lacuna“ sämtliche Erinnerungen an ihn hat löschen lassen. Joel sucht die Firma auf und beauftragt sie, bei ihm dasselbe zu tun. Das Prozedere des Löschens ist vergleichbar der Psychoanalyse: Jede Erinnerung muss einzeln, chronologisch rückwärts aufgerufen werden, um gelöscht werden zu können. Bei Liebesgeschichten ist das eine derart paradoxale Konstruktion, dass man sich fragen kann, ob die Firma „Lacuna“ noch ganz bei Trost ist. Andererseits – und dies stimmt nachdenklich – hat der Löschvorgang bei Clementine offenkundig funktioniert, was (vielleicht) ein anderes Licht auf die Beziehung zwischen ihr und Joel wirft. Bei Joel jedenfalls offenbart das Verfahren seine zentrale Schwäche. Die gut präparierten Mitarbeiter von „Lacuna“ suchen den schlafenden Joel eines Nachts auf und installieren einen altmodisch wirkenden Helm. Das Löschen beginnt und ist anfangs, wenn es um das Ende der Beziehung mit den Streitereien und den gegenseitigen Vorwürfen geht, problemlos. Spätestens aber, wenn die Erinnerungen an die guten Momente kommen, regt sich Joels Widerstandsgeist.

An diesem Punkt beginnt der Film auf zwei, drei Ebenen zu spielen: Einerseits erzählt er die Geschichte jener Nacht, in der Joels Gedächtnis manipuliert wird und von den Schwierigkeiten, mit denen die routinierten, aber etwas nachlässigen „Lacuna“-Mitarbeiter konfrontiert werden. Andererseits steigt er in Joels Gedächtnis ein, zeigt in sprunghaften Episoden die zu löschende Liebesgeschichte, aber auch das Löschen selbst, so als träume der Schlafende den Löschvorgang seiner Erinnerungen. Wenn Joel beginnt, Widerstand zu leisten, verbündet er sich mit der „Gedächtnisfigur“ Clementine, und quasi „gemeinsam“ versuchen sie, in seinem Unterbewusstsein Verstecke zu finden, die dem Lösch-Zugriff verborgen bleiben, weil sie nicht mit Clementine verbunden sind. In gewisser Weise präsentiert Joel Clementine sein Leben bis zurück in die Kindheit, wenngleich nur in seiner Erinnerung. Natürlich lockt er damit auch die „Lacuna“-Mitarbeiter an eigentlich uninteressante Plätze seines Unterbewusstseins. Das klingt aberwitzig – und die Kunst des Films besteht darin, dass diese Story potenziell alle erzähltechnischen Kniffe zulässt, um eine solide und tragfähige Basis für die originellen Bildfantasien sowie das darstellerische Potenzial Carreys zu schaffen; mit dem Ergebnis, dass alle Beteiligten ihre Kreativität in den Dienst der Sache stellen, um ein Füllhorn visueller und dramaturgischer Effekte zu beliefern. Der Film wird über weite Strecken rückwärts erzählt, die Perspektiven und Zeiträume verschieben sich, werden ineinander verschoben. Hinzu kommt ein stark surrealer Touch, weil die Erinnerungen nur selektiv realisiert werden, während die Umgebung gewissermaßen unscharf bleibt und von Resten anderer Erinnerungen überlagert oder vervollständigt wird. Da steht dann ein Bett am Strand, es regnet in einem Zimmer, als befände man sich in einem Tarkowskij-Film. Wenn vom Löschen die Rede ist, kann man tatsächlich sehen, wie hinter den Protagonisten „alles“ wegbricht. Dies ist selten effekthascherisch, sondern poetischer Reflex des Erzählens selbst. Wenn Joels Erinnerungsfluchtpunkt in der eigenen Kindheit angelangt ist, bleibt auch noch Zeit für einige von Jim Carreys Manierismen, der in seiner Darstellung des melancholisch- verschlossenen Joel die bislang stärkste Leistung seiner Karriere abliefert. Am Ende gibt es kein Entkommen vor dem Zugriff von „Lacuna“: Joel erwacht in seinem Apartment und beginnt den Tag mit einer melancholischen Grundstimmung. Während er am Bahnhof auf den Zug wartet, beschließt er, das Gleis zu wechseln und einen Ausflug zu machen – nach Montauk.

Mit dieser Kreisstruktur dreht der Film die dramaturgische Schraube noch eine Umdrehung weiter. Man muss sich entscheiden, ob man die Lösung als überraschend konventionell oder als endgültig „derealisiert“ werten will. So ist „Vergiss mein nicht!“ eine kluge und poetische Reflexion über die Liebe, die auch von der Qualität der damit verbundenen Verletzungen erzählt. In seiner skeptisch-relativistischen Melancholie, die auch die Filmbilder von New York und Montauk prägt, ähnelt der Film Woody Allens „Der Stadtneurotiker“ (fd 20 385), einem anderen Klassiker reflektierter Beziehungsarbeit. Darin erzählt Allen den Witz von dem Mann, der seinem Psychiater erzählt, sein Bruder denke, er sei ein Huhn. Der Psychiater fragt, warum er ihn nicht ins Irrenhaus bringe. Weil er die Eier brauche, lautet die Antwort. Dies sei seine Haltung zu Beziehungen, und genau diese Haltung formuliert auch „Vergiss mein nicht!“. Damit nicht genug: Dem Film gelingt es, durch klug angelegte Nebenfiguren auch noch den paranoiden Kern der Fabel vorzuführen. Denn die mit dem Auftrag „Joel Barish“ befassten Angestellten von „Lacuna“ kochen alle ihr eigenes Süppchen. Nicht nur, dass die „Lacuna“-Technologie so altmodisch und schmuddelig daherkommt, als sei sie dem Cronenberg-Universum entsprungen; so wird das Wissen um die gelöschten Erinnerungen von einem Assistenten auch manipulativ instrumentalisiert, indem – wie bei Cyrano de Bergerac – mit „falschen Zungen“ gesprochen wird und Verführungstechniken erfolgversprechend kopiert werden. Auf dieser Ebene diskutiert der Film erstaunlich ernsthaft ethische Grundfragen und stellt sich einer der zentralen Aporien der romantischen Liebe: der postulierten Authentizität des Liebesdiskurses in seiner emphatischen Gegenwärtigkeit. Dass es sich dabei um eine kulturell entwickelte und vermittelte Matrix von bestimmten Gesten und einer bestimmten Semantik handelt, fürchtet (und zeigt) der Film, der in seiner letzten Volte dann doch auf den Glauben an die romantische Liebe setzt.

Mit seinem Interesse am Gedächtnis, das „Vergiss mein nicht!“ mit Filmen wie „Memento“ (fd 35 173), „Paycheck“ (fd 36 327), „Mulholland Drive“ (35 220), „50 erste Dates“ (36 456) oder „Findet Nemo!“ (fd 36 237) teilt, ist er ein Indikator für zwei bedeutsame Entwicklungen: Zum einen ist der Vorstellungskomplex „Gedächtnis/ Erinnerung“ für Drehbuchautoren interessant, weil sich hier neue Möglichkeiten ergeben, produktiv mit Subjektivierungen, Brechungen und Diskontinuitäten zu spielen – auch im Mainstream. Es bleibt abzuwarten, ob sich das Publikum auf den erzählerischen Aberwitz des Film einlässt. Zum anderen ist zu fragen, ob das offenbar virulente „Erinnerungsthema“ ein Reflex auf die oft behauptete permanente Präsenz der postmodernen Mediengesellschaft ist, die ohne eine umfassende kulturhistorische Amnesie nicht zu haben ist.

Erschienen auf filmdienst.deVergiss mein nicht!Von: Ulrich Kriest (13.2.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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