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Filmkritik
Hollywood-Melodramen wie „Vom Winde verweht“ (fd 2293) oder „Titanic“ (fd 32 921) wirken geradezu nüchtern, wenn man sie mit einem Bollywood-Film wie „Veer und Zaara“ vergleicht. Da wird hemmungslos sentimental geliebt und gelitten, in bunten Kulissen und üppigen Kostümen, angereichert durch Gesangs- und Tanznummern, die das Filmerlebnis für manchen westlichen Besucher mühsam machen, in Indien aber eine der Hauptattraktionen darstellen. „Veer und Zaara“ war in seinem Entstehungsland ein Hit. Das ist der Erfahrung Yash Chopras zu danken, der bereits Ende der 1950er-Jahre erste Regiearbeiten ablieferte, 1970 seine eigene Produktionsfirma gründete und hier erneut Konventionen des indischen Familien-Melodrams durchspielt (vgl. Porträt S. 44). Sicher liegt diese Popularität auch an der Musik, für die Chopra auf bisher unveröffentlichte Werke des verstorbenen Komponisten Madan Mohan zurückgriff und sie erstaunlich flüssig in die Handlung integrierte, sowie an der Besetzung mit Stars wie Shah Rukh Khan, der Newcomerin Preity Zinta oder Amitabh Bachchan, dem wohl bedeutendsten indischen Schauspieler. Der Film breitet eine grenzüberschreitende Liebesgeschichte aus, die das Schicksal eines indischen Piloten und einer pakistanischen Tochter aus gutem Hause erzählt: Captain Veer Pratap Singh rettet die schöne Pakistani Zaara, als sie in Indien unterwegs ist, um ihre verstorbene Amme nach hinduistischem Ritus zu bestatten, und mit einem Bus verunglückt. Veer beschließt, Zaara auf ihrem Weg zum Wallfahrtsort zu begleiten. Beide verbringen auf der Reise eine wundervolle Zeit miteinander, vor allem, als Veer Zaara sein Heimatdorf zeigt, wo gerade ein großes Fest ansteht und Zaara von Veers Pflegeeltern wie eine Tochter aufgenommen wird. Doch dann schlägt das Schicksal zu: Zaara muss zu ihrer Familie zurück und soll aus politischen Gründen einen ungeliebten Mann heiraten. Veer kommt ihr zu Hilfe, doch dann verzichten die beiden Liebenden aufeinander, um nicht Karriere und Leben von Zaaras Vater zu ruinieren. Trotzdem lässt der eifersüchtige Verlobte Veer gefangen nehmen und zwingt ihn, sich als indischer Spion unter falschem Namen inhaftieren zu lassen; ansonsten wolle er Zaara das Leben zur Hölle machen. Veer nimmt dies auf sich, um die Geliebte zu schützen. Eine Rahmenhandlung zeigt, wie eine pakistanische Menschenrechtsanwältin darum kämpft, dem seit mittlerweile mehr als 20 Jahren Gefangenen die wahre Identität und die Freiheit zu verschaffen. Das erweist sich als schwierige Aufgabe, die die Frau voller Hingabe übernimmt: Durch ihren Erfolg will sie als Vorkämpferin Frauen den Weg in die Berufswelt ebnen und zugleich dem Inder zu seinem Recht verhelfen – wobei ihre Tränendrüsen ebenso wie die des Kinopublikums ausgiebig beansprucht werden. „Veer und Zaara“ spielt wie viele indische Familienmelodramen in einem privilegierten sozialen Milieu, in dem sich die Protagonisten auf große Konflikte zwischen Pflicht und Neigung, der Loyalität zu Familie, Religion und Vaterland und dem individuellen Gefühl konzentrieren können. Der Film versucht sich dabei an einem interessanten Spagat: Einerseits zeigt er sich „modernen“ Ideen verpflichtet; vor allem der Aufwertung der Rechte der Frauen, hier insbesondere dem Ausgleich zwischen Indien und Pakistan bzw. Hindus und Moslems; andererseits werden grundlegende Traditionen und Werte affirmiert: die Bedeutung der Familie, der im Zweifelsfall das persönliche Glück aufgeopfert werden muss, und, damit zusammenhängend, Patriotismus und Religiosität. Die Sequenz, die den Höhepunkt des Liebesglücks von Veer und Zaara beschreibt, bevor es zur dramatischen Wendung kommt, tut dies nicht, indem sie sich einer intimen Begegnung des Paares zuwendet; dies erfolgt vielmehr durch die Inszenierung eines großen Fests im Kreise von Veers Familie: ein utopischer Moment, in dem das individuelle Verlangen im Wollen der Gemeinschaft aufgeht. Veer ist stolzes Mitglied der indischen Armee; zwar kommt er im klassischen „Rebellenlook“ westlicher Prägung daher, d.h. in Jeans und Cowboy-Stiefeln, trotzdem zeigt er sich doch als „Ehrenmann“ nach traditionellen Maßstäben. Auch wenn Zaara in einem Lied kundtut, sie wolle ganz sie selbst sein und sich keinen Konventionen anpassen, ist sie ehrfurchtsvoll gegenüber religiösen Bräuchen und loyal gegenüber den Wünschen ihres Vaters. Die Popularität von Melodramen wie „Veer und Zaara“ mag auch daran liegen, dass hier ein Dilemma eingekreist wird, das die indische Gesellschaft umtreibt und bewegt: der Versuch, den Wunsch nach Liberalisierung (die unlösbar mit einer Stärkung des Individuums verbunden ist) mit traditionellen Werten der indischen Gesellschaft zu vereinbaren, die diesen Wünschen entgegenstehen. „Veer und Zaara“ handelt genau von diesem Konflikt (der meist in einen Generationenkonflikt übersetzt wird), versucht aber zugleich, ihn nicht eskalieren zu lassen. So werden die Spannungen zwischen den Kindern und den Älteren nicht ausgekämpft, sondern lösen sich entweder in Friede oder in gemeinsamem Leiden am übergroßen „Zwang der Verhältnisse“. Die ältere Generation übernimmt einige Werte der jüngeren, vor allem die Aufwertung der Würde der Frau und die Idee eines Nebeneinanders von Indern und Pakistani – und vermeidet dadurch die Revolution. Funktionieren tut das nur, weil fast alle Protagonisten duldsam und einsichtig sind. Solche unerträgliche Gutartigkeit kostet einen dann doch mehr Geduld als die obligatorischen Musiknummern.