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Filmkritik
Mit den beiden um den Körper geschnallten Rucksäcken, einem großen auf dem Rücken und einem kleinen vorn auf der Brust, erinnert Benjamin ein wenig an eine gepanzerte Schildkröte. Ganz anders Katharina, die mit einem silbernen Rollkoffer angerauscht kommt, im Schlepptau Judith, eine Freundin, die außer Plan mitgekommen ist. Es geht nach Havanna.
Die Intransparenz über die Zusammensetzung der Gruppe und den Zweck der Reise bleibt in „Vamos a la playa“ von Bettina Blümner eine ganze Weile intakt. Offensichtlich zahlt Katharinas Vater dafür, dass irgendjemand gesucht und gefunden wird. Wer genau – irgendwann stellt sich heraus, dass es um ihren abgetauchten Bruder Wanja geht, Benjamins Kindheitsfreund – scheint erst einmal nicht so wichtig zu sein. „Vamos a la playa“ gefällt sich in Unübersichtlichkeit und Zerstreuung und – trotz des Plans, der das Trio nach Kuba führt – im planlosen Umherschweifen. Auf dem Flug filmen und befragen sich die Freundinnen gegenseitig: was ein guter Orgasmus sei, oder ob Körperhaare bei Männern die Attraktivität steigern. Am Reiseziel entspinnt sich dann eine Debatte über den Umfang des Reisebudgets. Katharina steht für sorgloses Verschwenden, Benjamin für vernünftiges Haushalten; er trägt die Ausgaben jeden Abend in seine akkurat geführte Excel-Tabelle ein.
Auf der Suche nach Seekühen
Benjamin scheint auch der einzige zu sein, der den Auftrag des reichen und mächtigen Mannes ernst nimmt. In Begleitung von Judith begibt er sich auf die Suche nach Wanja. Der große blonde Unbekannte schrieb an einer Masterarbeit über Seekühe, die Meeressäuger wurden zuletzt Ende der 1990er-Jahre von den befragten Inselbewohnern gesichtet.
Katharina ist derweil in Großherrin-Manier auf der Suche nach bezahltem Sex. Einen Mann, den sie zum Abendessen einlädt, bringt sie für ein paar Geldscheine dazu, vor ihren Augen einen Salat aufzuessen, der ihm zuwider ist. Seine Komplimente und all die Rituale, die den Handel in eine romantische Erzählung kleiden, nimmt sie ungeduldig-genervt zur Kenntnis. Und da er nicht gleich zur Sache kommt, vergeht ihr schon bald die Lust. An einem anderen Tag bittet sie einen Fremden auf der Straße, ihr gegen Bezahlung das Eis vom Dekolletee zu schlecken. Zunächst geht er freundlich, wenn auch leicht irritiert auf das Gespräch ein, bis er sich angewidert abwendet.
In seinen besseren Momenten wirkt „Vamos a la playa“, nicht zuletzt dank eines interessanten Ensembles, richtungsoffen und improvisationsfreudig. Doch der Eindruck des Ungelenk-Unentschiedenen und halb Angedachten überwiegt. Zum milieuspezifischen Generationenporträt, das die gelegentlich dazwischen geschnittenen Smartphone-Bekenntnisse nahelegen, ein Stilmittel, das in Blümners Dokumentarfilm „Prinzessinnenbad“ überzeugend gelang – will sich die Erzählung hier nicht formen. Doch vor allem findet der Film für die Begehrensströme der Figuren – nach einer zaghaften Annäherung zwischen Benjamin und Judith wendet sich die junge Frau dem Tanzlehrer Ignacio zu – und die Beobachtung asymmetrischer Beziehungen zwischen wohlhabenden europäischen Reisenden und armer kubanischer Bevölkerung kein Verhältnis.
Verschiedene Formen des „Geschäfts“
Gerade im Umgang mit dem allgegenwärtigen Sextourismus findet „Vamos a la playa“ nie den richtigen Ton. Man muss nicht gleich in die tiefsten menschlichen Abgründe hinabsteigen, wie es Ulrich Seidl in „Paradies: Liebe“ gemacht hat, doch Katharinas provozierender Habitus wirkt aufgesetzt und lapidar zugleich und lässt die Ambivalenzen, die der Tauschökonomie eigen sind, nicht annähernd greifbar werden. Benjamin wird im Film als von Eifersucht getriebenem Moralist die Aufgabe zugeschoben, verschiedene Formen des „Geschäfts“ für die Zuschauer:innen vereinfacht auszubuchstabieren.
Als der Verlorene plötzlich am Strand auftaucht, hat es der Film plötzlich sehr eilig. Eine unerwartete Nachricht über den Vater, ein Großeinkauf für Wanjas kubanische Freunde und eine plötzliche Heirat wühlen die Verhältnisse noch einmal auf, sortieren sie sogar um. Bei so viel Aufwirbelung lässt sich am Ende auch die Seekuh kurz blicken und verzaubert mit Ruhe und schwerfälliger Eleganz.