- RegieMartha Holmes, Michael Gunton
- ProduktionsländerVereinigtes Königreich
- Produktionsjahr2011
- Dauer85 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
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Filmkritik
In Großbritannien sieht man sie an jeder Ecke: Frauen und Männer, meist im fortgeschrittenen Alter, die in Einkaufsstraßen oder vor dem Supermarkt mit Sammelbüchsen stehen. Sie bitten um Spenden für die Brustkrebshilfe oder die Altenpflege, für das örtliche Tierheim oder Blindenwerkstätten. Alles für den guten Zweck und zum Wohle der Gemeinschaft. Nicholas Winton findet eines Abends in seiner Box einen kleinen schwarzen Knopf. „Wer tut denn so etwas?“, seine Frau ist entsetzt, aber der ältere Herr sieht das pragmatisch: Wer weiß, ob der Knopf nicht noch einmal nützlich sein könnte? Er hat den Zweiten Weltkrieg miterlebt und vielleicht auch deshalb neigt er dazu, Dinge – Gummibänder, ein Stück Strippe oder einen eingepackten Keks – aufzubewahren.
Alles nur Ballast, findet seine Frau. Doch der Gegenstand mit dem größten Gewicht liegt verborgen in einer Schublade seines Schreibtischs: eine alte Aktentasche aus braunem Leder, darin enthalten eine Kladde mit Fotos, Aufzeichnungen und Zeitungsausschnitten – ein Stück Vergangenheit, über das Winton kein Wort verloren hat, das er 50 Jahre lang beiseitegelegt hat, ohne je damit abschließen zu können.
Ein zurückhaltender Lebensretter
Nicholas Winton, der 2002 zum Ritter geschlagen und 2015 im Alter von 106 Jahren gestorben ist, gilt vielen als „britischer Schindler“; eine Bezeichnung, die er selbst nicht gemocht hat. Glaubt man der wunderbar zurückhaltenden, warmherzigen Darstellung von Anthony Hopkins, der den betagten Winton in „One Life“ verkörpert, muss er ein Mensch gewesen sein, der selbst nie einen Wirbel um seine Person und seine Taten gemacht hat, wobei er dazu jedes Recht gehabt hätte. 1939, nach dem verhängnisvollen Münchener Abkommen, der anschließenden deutschen Besatzung des Sudetenlandes und vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs brachte Winton zusammen mit weiteren Helfern, darunter Doreen Warriner vom „British Committee for Refugees in Czechoslovakia“, 669 überwiegend jüdische Kinder aus Prager Flüchtlingslagern nach England in Sicherheit.
Davon erzählt „One Life“ von Regisseur James Hawes in Reenactment-artigen Rückblenden als Geschichte couragierter Menschen, die das Herz auf dem rechten Fleck tragen, und als spannungsgeladener Wettlauf gegen die Zeit. Der junge Börsenmakler Winton wird als ein Mann charakterisiert, der sich angesichts eines offensichtlichen Unrechts nicht nur empört, sondern etwas unternimmt, es zumindest versucht, weil er sich dazu moralisch verpflichtet fühlt. Und auch wenn diese Szenen mit der besänftigenden Patina einer längst vergangenen Zeit behaftet sind, verweisen sie doch auch aufs Heute, weil immer noch Menschen unter unwürdigen Umständen in Flüchtlingslagern leben müssen, immer noch unbegleitete minderjährige Kinder und Jugendliche mit einer ungewissen Zukunft und unter Lebensgefahr auf der Flucht sind. In Europa und anderswo.
Alles läuft auf den emotionalen Höhepunkt zu
Das ist eine Stärke des Films, wenngleich dramaturgisch wie auch inszenatorisch alles auf das Jahr 1988 und den emotionalen Höhepunkt von „One Life“ zuläuft: Denn auch Jahrzehnte nach den von ihm initiierten, sogenannten tschechischen Kindertransporten hat Winton nicht verwunden, dass er nicht mehr Menschenleben retten konnte, fragt er sich, was wohl aus den vielen Mädchen und Jungen geworden ist, die in britischen Pflegefamilien ein neues Leben begonnen haben. Zugleich überlegt er, was er mit seinem „Scrapbook“ tun soll. Denn langsam wird ihm klar, dass dieses Buch ein Zeitdokument von unschätzbarem Wert ist.
Zunächst stößt er damit jedoch auf wenig Interesse, bis er eines Tages im Studio der englischen BBC-Unterhaltungssendung „That’s Life!“ sitzt, die normalerweise auf leichte und satirische Inhalte setzt. Was dort passiert, verrät bereits der Trailer des Films und überdies ein Mitschnitt dieser Sendung, der auf YouTube bereits über 42 Millionen Male aufgerufen wurde: Nicholas Winton erlebt vor laufender Kamera, was er mit seiner Rettungsaktion bewirkt hat, was von James Hawes zu getragener Klaviermusik und mit ordentlichem Druck auf die Tränendrüse fürs Kino nachinszeniert wurde.
Zeitlebens nicht das Rampenlicht gesucht
Als „Geschichte eines gewöhnlichen Mannes, der Außergewöhnliches geleistet hat“ wird „One Life“ angekündigt. Und dem kann man nur zustimmen. Fragt sich nur, ob es dem Menschen Nicholas Winton gerecht wird, der von diesem Film in den Mittelpunkt katapultiert wird, obwohl er zeitlebens das Rampenlicht nicht gesucht hat.