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Filmkritik
Ein Büffel in der Morgendämmerung, das Licht ist diffus, die Landschaft Nebel verhangen. Irgendwann reißt sich das Tier los und trabt über ein Feld, später steht es im Dickicht des Dschungels, es schaut, verharrt einen Moment lang. In der magischen Anfangssequenz des Films spürt man sofort, dass der Büffel mehr ist als nur ein Tier. Hier passiert etwas, das über das Greifbare hinaus geht, und dennoch ist alles in diesem Bild enthalten, alles ist sichtbar. Die Filme des thailändischen Regisseurs Apichatpong Weerasethakul sind für ihre offene, mäandernde Form bekannt, für ihre Zeitschleifen und Brüche. In „Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“ zeichnet das Fließende, sich Transformierende nicht nur die Form aus, sondern auch Menschen und andere Wesen. Sie wechseln ihre Gestalt, verschwinden und tauchen wieder auf, als Büffel, Affengeist oder hässliche Prinzessin. Weerasethakul erzählt in Bildern voller Intensität und geheimnisvoller Spannung von Tod und Reinkarnation, aber auch vom Kino und seiner Fähigkeit, andere Lebenswelten, Realitäten, Figuren zu entwerfen. „Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“ ist aus der Installation „Primitive“ hervorgegangen, die Weerasethakul 2009 u.a. im Münchner Haus der Kunst zeigte. „Primitive“ spielte in Nabua, einem verschlafenen Dorf im Nordosten Thailands nahe der Grenze zu Laos, das eng mit der Geschichte des politischen Terrors verbunden ist. In den 1960er- bis frühen 1980er-Jahren wurden dort kommunistische Bauern von der thailändischen Armee unterdrückt und ermordet. Auch Uncle Boonmee hat bei diesen gewaltsamen Auseinandersetzungen Kommunisten getötet, sein Nierenversagen deutet er deshalb als eine Folge seines Karmas. Mit meditativer Gelassenheit sieht er seinem bevorstehenden Tod entgegen, den er auf seinem Landgut erwartet, umgeben von Verwandten und Freunden. Als die Familie abends auf der Veranda sitzt, taucht plötzlich der Geist seiner verstorbenen Frau Huay auf, auch sein verschollener Sohn kehrt in Gestalt eines Affen zurück. Mit langen schwarzen Haaren und wie Rotlichter funkelnden Augen schält er sich aus der Dunkelheit heraus und nimmt wie selbstverständlich am Tisch Platz. Es ist eine bizarre Szenerie. Die Figuren wirken hölzern und sprechen mit monotoner, fast somnambuler Stimme, die Grillen zirpen im Hintergrund; zusammen erzeugt das eine merkwürdig hypnotische Stimmung, die mal voller Ernsthaftigkeit und Weisheit ist, mal ins Komische kippt. Weerasethakul spricht damit auch dem Kino, mit dem er aufgewachsen ist, eine „Liebeserklärung“ aus, den thailändischen Fernsehfilmen mit ihrem steifen Schauspiel und den schlecht gemachten Monstern. Weerasethakul komponiert die Bilder wie Tableaus; die Einstellungen sind meist lang und statisch. Ausführlich zeigt er den Kranken bei der Dialyse, dann folgen wieder nächtliche Aufnahmen der Natur, die Zweige eines Baumes in der Nacht, schwarz und vom Mondlicht nur schemenhaft beleuchtet. Wie bereits bei „Primitive“ übernehmen auch in „Uncle Boonmee“ verschiedene Variationen von Licht die Funktion einer eigenständigen „Figur“. Der Mond, eine Lampe oder eine Taschenlampe brechen das Schwarz der Dunkelheit auf und schaffen starke Kontraste. Das Licht hat etwas Flüchtiges, es taucht auf und verschwindet wieder, ähnlich wie Erinnerungsblitze oder Bilder nächtlicher Träume, die einem entwischen, aber noch lange Zeit nachwirken. Von diffusem Mystizismus ist der Film jedoch weit entfernt; vieles bleibt rätselhaft, aber die Bilder sind immer konkret. Die Gespräche kreisen immer wieder um das, was dem Tod folgt. Boonmee fürchtet etwa, dass er Huay nicht wieder finden könnte. „Geister sind nicht mit Orten verbunden, sondern mit Menschen, mit den Lebenden“, antwortet sie und sagt auch den unglaublichen Satz: „Der Himmel wird überschätzt. Da gibt es nichts.“ Später bricht Boonmee mit seiner Familie zur letzten Reise auf, die in einer Berghöhle endet. Er vergleicht sie mit einer Gebärmutter, ein Ursprung, an den er zurückkehren muss. Je tiefer sie in das Schwarz vordringen, desto unwirklicher wird dieser Ort. Eine Taschenlampe als einzige Lichtquelle bringt die Decke der Höhle zum Leuchten. Einmal glitzert sie wie ein Sternenhimmel.