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Filmkritik
In den vergangenen Jahren gewann der Begriff der Care-Arbeit einiges an Momentum. Das Sorgetragen als Systemerhalter bekommt nun zumindest ein wenig mehr Aufmerksamkeit, zu bezweifeln bleibt, ob das auch gerechtere Entlohnungsmodelle nach sich zieht. Die 35-jährige Sandra (Léa Seydoux) in Mia Hansen-Løves „An einem schönen Morgen“ leistet viel Care-Arbeit. Diese wird ihr unvermeidbar vom Leben aufgetragen. Sie ist alleinerziehende Mutter (ihr Mann verstarb) und ihr Vater, der ehemalige Philosophieprofessor Georg (Pascal Greggory), leidet am seltenen Benson-Syndrom, einer neurodegenerativen Krankheit, deren Symptome an die Alzheimer-Krankheit erinnern. Zusammen mit ihrer Familie muss sie entscheiden, ob er in ein Heim soll.
Sandra balanciert ihren Alltag samt ihrer Arbeit als Dolmetscherin gerade so, als mit ihrem alten Freund Clément (Melvil Poupaud) auch noch eine stürmische Liebe in ihr Leben tritt, die von Cléments familiären Bindungen und seiner daraus resultierenden Unsicherheit erschwert werden. Auf inhaltlicher Ebene entfaltet die Filmemacherin ihre gewohnt ambivalenten Konflikte. Dabei enthält jede Entscheidung bereits eine mögliche Enttäuschung. Das ist die dramaturgische Fallhöhe bei Mia Hansen-Løve. Wenn man spricht, könnte man sich den Mund verbrennen. Wenn man küsst, könnte man zurückgewiesen werden.
Grenzen im gewöhnlichen Lauf des Lebens
Sandra ist eher introvertiert und doch kann sie ihre Gefühle nicht verbergen. Dass ihr Vater sie nicht mehr erkennt, dass Clément sie immer wieder verlässt, all das erträgt sie stoisch und doch verletzt. Eine dankbare Rolle für eine Starschauspielerin. Hansen-Løve weiß das und ruht mit ihrer Kamera wiederholt auf dem Gesicht von Seydoux, die, was ihre Zusammenarbeit mit den klangvollen Filmemachern ihrer Zeit betrifft, bald auf Juliette Binoches Niveau angekommen ist. Sie spielt diese Frau mit der soliden Sicherheit einer Volksschauspielerin. Seydoux weint und lächelt und manchmal sagt sie, was sie wirklich denkt. Es geht hier nicht um irgendwelche Extreme, es geht darum, dass man im gewöhnlichen Lauf des Lebens an seine Grenzen gelangt. Zum Beispiel, weil man leben muss, während die Nächsten sterben.
Am mitreißendsten gelingt dem Film das in seiner ganz beiläufig inszenierten Gleichzeitigkeit von Libido und Verfall. Die unsterblichen Gefühle eines Frischverliebtseins treffen so unentwegt auf eine körperliche Endlichkeit. Das sich einstellende Freiheitsgefühl zwischen den beiden Turteltauben, gefilmt, wie man das nur im französischen Kino sieht, in einem Park beim Versteckspiel zwischen Erwachsenen, wird ständig eingebremst. Das Leben lässt kaum Platz für die Liebe.
Ums reine Überleben
Eigentlich geht es in dieser Beziehung zwischen Sandra und Clément ums reine Überleben für Sandra, aber sie lässt sich nichts anmerken. Die Filmemacherin hält die Balance zwischen Panik, Trauer und dem nivellierenden Fortschreiten der Zeit. Das war seit jeher ihre große Stärke. Irritierend aber ist, dass sie sich inzwischen einer geradezu anödenden formalen Biederkeit verschrieben hat, die manche mit Reife verwechseln.
Nach ihrem Ausflug auf Fårö für „Bergman Island“ kehrt Hansen-Løve zurück in das von ihr gewöhnlich bevorzugte urbane Milieu. Die von ihr sonst eingesetzten Ellipsen, die Dynamik des Schnitts und der Mise-en-Scène, all das plätschert in einen Modus, bei dem man sich nicht mehr sicher sein kann, ob es hier um die bereits angedeutete Beiläufigkeit der Dinge geht oder schlicht um uninspiriertes Filmemachen. Ein Beispiel: Als sich Clément und Sandra zum ersten Mal im Film treffen, spazieren sie bar jeder Logik nebeneinander, als wäre „An einem schönen Morgen“ eine Telenovela, in der es darum geht, bestimmte Bildklischees zu bedienen. Ständig stehen und gehen die Schauspieler so, als wäre das die erste Inszenierungsübung an einer Filmschule.
Die bei Hansen-Løve sonst so präsenten fließenden Übergänge, die aus dem Leben genommene Beweglichkeit verenden in der hölzernen Unlust eines gutbürgerlichen Fernseh-Themenfilms. Hat das französische Kino unzählige Beispiele für das subversive Potenzial von Ehebruch, Affären und gegen die Regeln arbeitenden Emotionen gefiltert, strömt aus den Bettszenen in „An einem schönen Morgen“ der Geruch von Müdigkeit und wohliger Heimeligkeit. Vielleicht ist es ja genau das. Im Biederen entdeckt Hansen-Løve womöglich einen Kontrapunkt, das Leben, der Sex und der Tod werden banal. Statt der Wichtigtuerei und existenziellen Verlorenheit vergleichbarer männlicher Protagonisten wählt die Filmemacherin eine dezidiert weibliche Perspektive. Es herrscht eine bewusste Unaufgeregtheit, in der die leisen Töne der Sorge und die kleinen Gesten der Zuneigung alles bedeuten. Das Leben ist kein Abenteuer, es ist erstmal Leben und als solches muss es auch gelebt werden.
Nicht jede Handlung führt zu einer Lösung
Der Film erinnert ob seiner hölzernen, arg drehbuchlastigen Form trotzdem etwas an das weit verbreitete Lebensberater-Kino, bei dem es darum geht, aus der Identifikation mit Figuren allgemeine Weisheiten für das eigene Leben zu gewinnen. Was Hansen-Løve und ihren „An einem schönen Morgen“ abhebt von solchen Filmen, ist nicht ihre seltsame Hinwendung an kaum glaubhafte Happy Ends, sondern die unter der Narration schwimmende Ambivalenz, die dafür sorgt, dass nicht jede Handlung zu einer Lösung führt. Und so gelingen dann doch starke Momente, zum Beispiel wenn es darum geht, für jemanden da zu sein, oder ganz einfach und hart, wenn es an die großen Fragen geht, weil man stirbt oder nicht mehr leben kann.