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Filmkritik
Paris sieht nicht aus wie Paris. Scharlachrot liegt die Seine im Abendlicht – ein bekanntes, längst zu Postkartenkitsch gewordenes Motiv, das hier mit fremden, unheimlichen Schimmer strahlt. Shane (Vincent Gallo) und June (Tricia Vessey) verbringen ihre Flitterwochen in diesem Paris, das nicht nach Paris aussieht. Wie die Stadt scheinen die Flitterwochen selbst keine Flitterwochen zu sein. Im Hotel angekommen muss das Zimmer noch hergerichtet und das Bett noch bezogen werden. Shanes Augen kleben nicht an seiner Braut, sondern am Nacken der Hotelangestellten.
Es liegt etwas Bedrohliches in diesem Blick. Das Begehren scheint mehr zu wollen als einfach zu lieben. Eben deswegen fällt dieser Blick nicht auf June. Er darf nicht auf sie fallen. So wacht sie, die junge Ehefrau, wieder und wieder allein in den weißen Laken des Hotelbetts auf. Der Ehemann bleibt abwesend. Sucht zwischen den weißen Kacheln und Mini-Zentrifugen der Pariser Labore nach einem gewissen Dr. Léo Sémeneau (Alex Descas). Der Neurowissenschaftler ist der Einzige, der nach einer Heilung für eine rätselhafte Krankheit sucht, an der Shane und auch die Ehefrau Sémenaus, Coré (Béatrice Dalle), leiden. Diese Krankheit verwandelt sexuelles Begehren in etwas Mörderisches.
Der Blick der Wissenschaft kämpft mit dem Blick des Begehrens
Isolation und klinische Kontrolle stehen in „Trouble Every Day“ der Lust gegenüber, die Claire Denis’ Film bis in den Kannibalismus weiterdenkt. Der Sprung, den Dr. Sémeneau von der Wissenschaft in die Abgründe des menschlichen Triebverhaltens gemacht hat, ist der Versuch die Krankheit zu heilen, die Denis’ in die menschliche Leidenschaft injiziert, in den Blick, den Shane auf den Hals der jungen Frau wirft, und die Lust, mit der Coré ihre Liebhaber überwältigt. Ein junger Mann, der in das Haus eindringt, in das Coré von ihrem Mann eingesperrt wurde, während er an einer Heilung für die vampirische Lust forscht, fällt ihr in der zentralen Szene des Films zum Opfer. Die Kamera tastet seinen Körper klinisch und zugleich lustvoll ab. Der Blick der Wissenschaft kämpft mit dem Blick des Begehrens. Das Schlachtfeld ist der Körper, der langsam der ungezügelten Lust erliegt, mit der Coré ihn, Biss für Biss, verschlingt.
Zwischen Obsession und Isolation
Das Laken, das um Junes Körper geschlungen noch weiß und rein war, ist an Corés Körper ein mit blutiger Libido besudeltes Abendkleid. Schlafwandelnd bemalt sie in diesem Abendkleid die Wände mit dem Blut des Liebhabers, bevor sie, im eindrücklichsten Bild des Films, die Treppen aus ihrem Gefängnis hinabschreitet. Gallo und Dalle verkörpern perfekt die Vampir gewordenen Liebhaber, deren sexuelle Energie das Fleisch derer verzehrt, das mit ihnen in Berührung kommen. Den melancholischen Grundton dieses Horrorfilms, der nicht wie ein Horrorfilm aussieht, aber bestimmen die Partner: Alex Descas und Tricia Vessey. Die tiefe Traurigkeit, die von ihnen ausgeht, liegt über dem Grauen. „Trouble Every Day“ ist in erster Linie als Film über diejenigen konzipiert ist, die angesichts der in Kannibalismus entgleisenden Obsession untergehen. Diejenigen, die verletzt werden müssen oder nicht begehrt werden dürfen: June, die allein im Flitterwochenbett zurück bleibt und ihren Mann immer dann verliert, wenn die Berührungen allzu intensiv zu werden drohen. Und Sémeneau, der allein einen Weg sucht, seine Frau zu heilen, sie aber nicht erlösen und sie nicht lieben kann. Begehren heißt verletzen oder sogar töten.
„Trouble Every Day“ ist damit auch ein Film über scheiternde Beziehungen, über Menschen, die verzweifelte nach einem Weg suchen zwischen Isolation und Obsession; über Menschen, deren Verlangen verletzt; und über die Überblendung von Leidenschaft, in der die Liebe nicht mehr aussieht wie Liebe, sondern für wenige, unerträgliche Momente eins wird mit der Gewalt.