Filmplakat von Tokyo-Ga

Tokyo-Ga

88 min | SWR Doku Festival | FSK 12
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Wim Wenders Dokumentarfilm handelt von seiner Reise nach Japan. Angetan von der Arbeit des Regisseurs Yasujiro Ozu, der sich mit seinen Werken als Chronist der verändernden Gesellschaft rühmen kann, werden u.a. auch Werner Herzog, Yuuharu Atsuta und Chishu Ryu interviewt...
Bewegt durch das Werk des Regisseurs Yasujirô Ozu, reist Wim Wenders nach Japan auf der Suche nach dem Tokio, das in Ozus Filmen zu sehen ist.

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Eulenspiegel Essen
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Filmkritik

Wim Wenders begibt sich mit seinem in Tokio gedrehten Film auf die Spuren des 1963 verstorbenen japanischen Regisseurs Yasujiro Ozu, kreiert jedoch keinen filmkundlichen Beitrag im engeren Sinne, sondern eine Spurensuche in gleich zweifacher Hinsicht. Ozu, der stets den Zerfall der japanischen Familie und den damit verbundenen Identitätsverlust behandelte, siedelte seine Filme ausschließlich in der Metropole Tokio an und lieferte so eine nahezu 40jährige Chronik der Veränderung, des Wandels und des Verfalls. Wenders versucht, das alte Tokio Ozus aufzuspüren und die fortschreitenden Veränderungen der letzten 20 Jahre zu dokumentieren. Gerade in Bezug auf die Veränderung und den Verfall der Gesellschaft wird er fündig: in einprägsamen Bildern der Pachinko-Salons, der Glückspiel-Hallen, in denen einsame Menschen mit roboterhafter Ausdauer ihrer monotonen Freizeitbeschäftigung nachgehen, der Golfclubs, deren Gelände aus Platzmangel auf Hochhäuserdächern angesiedelt sind und deren Mitglieder den eigentlichen Sinn des Sportes längst vergessen haben. Die Dokumente des Verfalls sind augenfällig und verdichten sich zur Zivilisationskritik, die in ihrer kompromißlosen Aussage an den Film "Koyaanisqatsi" erinnert, wenn auch dessen suggestive Bildwirkung nicht beabsichtigt ist.

Eng mit diesen Recherchen verquickt, ist die zweite Schiene der Spurensuche, sie befaßt sich mit Ozu und seinem Weltbild. Neben Chishu Ryu, einem Schauspieler, der in mehr als 50 Filmen Ozus mitwirkte, besucht Wenders den langjährigen Kameramann des Regisseurs, Yuhara Atsuta, der von seiner Arbeit mit Ozu erzählt und die Funktionsweise der leichten Untersicht erklärt, aus deren Blickwinkel heraus Ozu filmte. In beiden Gesprächen mit den alten Männern wird die tiefe Verehrung und Zuneigung deutlich, die beide dem Meister noch lange nach dessen Tod zollen. In dem beeindruckenden Film über eine fremde und sich entfremdende Gesellschaft sowie über ihren Chronisten wirkt allerdings der mitunter etwas aufdringliche und eine Spur zu salbungsvolle Kommentar störend, den Wim Wenders spricht und in dem der Ozu-Verehrer Wenders mit dem Dokumentaristen in Konflikt gerät. Und noch etwas muß angemerkt werden. Auf Ozus Grabstein steht das japanische Schriftzeichen "Mu". Mu bedeutet: Nein, nichts, die Leere. Angesichts dieses Wortes stellt Wenders die Überlegung an, daß nach dem Tode Ozus die Darstellung von Wirklichkeit im Kino nicht mehr stattfinde, daß heute "Mu, das Leere" herrsche. In der Philosophie des Zen allerdings ist Mu - die Wahrheit jenseits von Bejahung und Verneinung, die Aufhebung jeglicher Polarität des Seins - ein höchst erstrebenswerter Zustand, dem mit westlichen Denkkategorien nicht beizukommen ist. In diesem Sinne ist das Nichts kein Verlust, sondern die durch Erfahrung von jedem Individuum erfaßte Wahrheit, wenn es das alles unterscheidende Bewußtsein ausgelöscht hat.

Erschienen auf filmdienst.deTokyo-GaVon: Hans Messias (24.5.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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