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Filmkritik
Die Witwe Mamie (Danielle Deadwyler) lebt im August 1955 mit ihrem Sohn Emmett (Jalyn Hall), den alle Welt nur Bobo nennt, in Chicago. Bobo ist 14 Jahre alt und will zum ersten Mal ohne seine Mutter verreisen. Es soll in den Süden gehen, nach Mississippi, zu seinen Cousins. Während der Junge voller Vorfreude alles organisiert, wird seine Mutter nicht müde, ihm Verhaltensregeln zu predigen. Er hört nur mit halbem Ohr hin, wenn sie ihm erklärt, dass es in den Südstaaten für Schwarze anders läuft als im toleranteren Norden. „Wenn du dort bist, mach dich klein“, sagt sie. Mamie wird von Vorahnungen gequält, lässt ihn aber schweren Herzens doch ziehen.
In Mississippi versucht der Junge, den coolen Mann von Welt zu markieren; er scheitert aber schon an der Erntearbeit auf den Baumwollfeldern. Als er im Kramerladen die weiße Verkäuferin anspricht, ihr nachpfeift und sie daraufhin zum Gewehr greift, bleibt ihm und seinen Cousins nur die Flucht. Die anderen Jungs fürchten sich vor den möglichen Folgen und machen ihm Vorwürfe, doch Bobo ist sich keiner Schuld bewusst.
Wie ein Schlag in die Magengrube
Nach ein paar Tagen ist der Vorfall beinahe vergessen, als mitten in der Nacht weiße Männer ins Haus eindringen, die Familie bedrohen und Bobo mitnehmen. Seine misshandelte, nahezu unkenntliche Leiche wird wenige Tage später gefunden. Ein Lynchmord. Mamie beschließt, Emmetts Leichnam öffentlich zu zeigen und setzt damit ein Zeichen.
Die US-Regisseurin Chinonye Chukwu stimmt von Anfang an auf einen tragisch-schmerzhaften Ausgang der Geschichte ein. Traurige Streicherklänge umspielen die Gewissheit, dass die Ereignisse tatsächlich stattgefunden haben. „Till“ ist ein Film, der direkt in die Magengrube geht, dorthin, wo es wehtut. Chinonye Chukwe konnte auf jahrelange Recherchen zum Mord an Emmett Till zurückgreifen.
Schon zu Beginn liegt die düstere Stimmung wie eine dunkle Wolke über dem Geschehen. Dabei verzichtet der Film auf explizite Gewaltszenen; Emmetts Qualen werden nicht gezeigt; stattdessen dringen seine Schreie durchs Dunkel. Auch wenn Mamie ihren toten Sohn sehen will und erkennt, dass es sich bei der schrecklich entstellten Leiche tatsächlich um ihr Kind handelt, dann wirkt das um ein Vielfaches stärker als direkte Bilder von seiner Tortur. Bei der Szene im Leichenschauhaus ist es, als ob man sich gemeinsam mit der Mutter dem geschundenen Körper nähert.
Nur die Augen erzählen vom Leid
Danielle Deadwyler spielt Mamie ungeheuer präsent und mit sehr viel Kraft, aber auch einer Gefasstheit, die sehr viel mit Würde zu tun hat. Der Film gibt ihr dafür viel Raum. Mamie wird als moderne, lebenslustige Frau eingeführt, die penibel auf Umgangsformen achtet und stets akkurat gekleidet ist. Sie weiß, dass sie als Schwarze mehr und genauer beobachtet wird als weiße Frauen, sie hat gelernt, sich anzupassen und zurückzunehmen, und sie tut genau das, was sie ihrem Sohn geraten hat: Sie macht sich klein.
Erst durch den Mord an ihrem Jungen wird sie zur Kämpferin. Nur ganz selten überlässt sich Mamie ihrem Schmerz. Meistens hält sie sich sehr aufrecht, mit erhobenem Haupt; nur ihre Augen erzählen von Leid und Trauer. Ihre Entscheidung, das Foto ihres ermordeten Sohnes öffentlich zu machen, kommentiert der Film durch eine Veränderung der Kameraposition: Ab da an wird Mamie häufiger aus leichter Untersicht gezeigt. Das gibt ihr manchmal etwas fast übertrieben Heldenhaftes: zudem wird dadurch eine gewisse Distanz aufgebaut, die aber vor allem ausdrückt, dass hier eine Frau deutlich sichtbar über sich und andere hinauswächst.
Mamie wählt den schwierigsten Weg und macht sich angreifbar, indem sie das Schweigen bricht und mit ihrem Schicksal an die Öffentlichkeit geht. Damit wird Mamie Till-Mobley zu einer Galionsfigur der Bürgerrechtsbewegung. Sie will kämpfen, statt sich dem Schmerz hinzugeben. Mamies Kampf um Gerechtigkeit wird zur Initialzündung für viele andere.
Mit der öffentlichen Aufbahrung des Leichnams will sie, dass jeder sehen kann, was ihrem Kind angetan wurde. Fast scheint fast so, als ob sie nur auf diese Weise Trost finden kann. Wenn es schon keine Antwort auf die Frage gibt, warum ausgerechnet ihr Kind sterben musste, dann will sie wenigstens dafür weiterleben, dass die Wahrheit über das Verbrechen an ihrem Sohn aufgedeckt wird.
Ohne jede Gefühligkeit
Als sie vor Gericht aussagt, ahnt sie, was ihr bevorsteht: Vorurteile, Unterstellungen, Lügen. Dennoch stellt sie sich der schweren Aufgabe. Chinonye Chukwu zeigt diese Szene in einer einzigen langen Einstellung, mit unbeweglicher Kamera; nur Mamies Gesicht ist zu sehen: wie sie unverschämte Fragen sehr ruhig beantwortet, sich gegen Verdächtigungen zur Wehr setzt, eine tapfere Frau mit einer eisernen Selbstbeherrschung, der es mühsam gelingt, die Fassung zu bewahren. Darstellerisch wie inhaltlich ist das einer der Höhepunkte in einem Drama, das gleichzeitig Mahnung und Appell ist. „Till“ ist ein emotionaler Film ohne jede Gefühligkeit, aber aufwühlend und sehr beunruhigend.
Seit 2022 gibt es in den USA ein Gesetz gegen Hassverbrechen. Es wurde „Emmett Till Antilynching Act“ benannt.