Vorstellungen
Filmkritik
"Thelma & Louise" ist ein Film über den Versuch zweier Frauen, ihre Freiheit zu finden. Zwei ungleiche Freundinnen, die eine fraulich, zielbewußt und realistisch, die andere nervös, unausgeglichen, aber voll spontanen weiblichen Übermuts. Ihre Beziehungen zu Männern zahlen sich nicht aus. Aufbegehren und Ausbruch aus der Konvention exponieren sie als Repräsentanten einer Emanzipation, die allmählich auch in weniger intellektuellen und sozial gesicherten Schichten um sich greift. Doch die Autorin des Films würde einen solchen Hinweis vermutlich schon als ein Zuviel ansehen; sie impliziert diese Bezüge, ohne sie zu betonen. Das gibt ihrem Drehbuch, das eine mit viel Enthusiasmus durchsetzte Komödie ist, die Leichtigkeit auch in schwergewichtigen Situationen. Thelma und Louise brauchen keinen Vorwand, um ihr Auto zu besteigen und gemeinsam ohne Ziel davonzufahren. Ihre Motivation und ihr Ziel sind die Freiheit. Ein Road Movie also, nur mit weiblichen Helden? Ja und nein. Wie in allen Road Movies entwickeln sich auch hier persönliche Schicksale durch Ereignisse am Rand der Straße. Doch ungleich anderen Road Movies reagieren die beiden Frauen aus anderen Motiven, als es Männer in ähnlichen Situationen tun würden. Als sich auf dem Parkplatz vor einem deftigen Tanzlokal das Schicksal zum ersten Mal querstellt, als Thelma fast von einem zudringlichen Kerl vergewaltigt wird, tut Louise genau dasselbe, was auch der gute Freund im konventionellen Road Movie machen würde: sie erschießt den Kerl. Doch ihre Tat hat eine total andere Motivation und löst auch im Zuschauer total andere Reaktionen aus. Das Schema läßt sich nicht einfach umkehren, es wird plötzlich mit einem anderen Sinngehalt gefüllt. Freiheit für diese Frauen ist etwas anderes als Freiheit für die Nachfahren von "Easy Rider". Dieses Anderssein ist es, was den Film schon vom Drehbuch her faszinierend macht. Die feminine Perspektive ist den Ereignissen nicht als bloßer Überraschungseffekt aufgepflanzt, sondern sie ist die eigentliche Handlung. Wenn Harrison Ford in "Blade Runner", einem anderen Ridley-Scott-Film, sagt. "Ich bin lieber ein Killer als ein Opfer", dann steht dahinter die stolze Männlichkeit eines Helden, der sich nicht geschlagen gibt; wenn Thelma und Louise sich entsprechend verhalten, dann ist das die Überwindung einer ihnen von der Gesellschaft aufgezwungenen Position der Schwäche und der Ergebenheit. Wiederum ist es das Verdienst des Drehbuchs, daß die Rollenbeschreibung mit so viel Ungezwungenheit und Ungestelztheit erfolgt, daß man den Fluß der Ereignisse nie durch philosophischen Ballast beschwert findet.
Alles entwickelt sich bei dieser in ihren Einzelheiten improvisierten Autofahrt der beiden Frauen wie von selbst. Eigentlich wollten sie den egoistischen Männern in ihrem Leben nur mal zeigen, daß sie nicht jede Minute des Tages von ihnen abhängig sind und daß ihre Anwesenheit keine Selbstverständlichkeit ist. Eigentlich wollten sie mit diesem Trip ins Ungewisse ihren Konflikten und Problemen entfliehen, sich einfach einen guten Tag machen. Unversehens geraten sie aber in weitaus gravierendere Probleme. Doch einmal ihres Selbstwertgefühles bewußt, meistern sie den plötzlichen Lebensknick mit immer wieder neu angefachter Zuversicht. Sie passen sich der unerwartet auf sie zukommenden "Männerrolle" an, ja sie überrumpeln ihre Umwelt mit der perfekten Imitation männlicher Verhaltensweisen. Es steckt unübersehbar auch ein bißchen "Bonnie und Clyde" in dieser Story. Doch die Naivität des klassischen Gangsterpärchens wird in "Thelma und Louise" durch einen Bewußtseinsprozeß ersetzt, der dem Wort "Freiheit" eine ganz und gar andere Dimension verleiht. Spätestens an dieser Stelle muß von der Regie die Rede sein, die jede kleinste Stimmung und Wendung des Drehbuchs in Bilder von ungewohnter optischer Phantasie umsetzt. Die aus Dutzenden von Filmen vertrauten Landschaften sehen anders aus, perspektivisch verkürzt, in fremdem Licht, als mache es einen Unterschied, daß man diesmal mit zwei Frauen reist. Es ist sicher auch ein Verdienst Ridley Scotts, daß die beiden Darstellerinnen Susan Sarandon und Geena Davis ihren Rollen so viel Enthusiasmus und so viel Ausstrahlung verleihen. Ist es Zufall, daß in vielen Hollywood-Filmen der letzten Jahre Frauen nicht mehr die Ziehkätzchen beherrschender Männerfiguren sind, sondern selbstsichere, in ihrer Fraulichkeit, aber auch in ihrer Unabhängigkeit sich bestätigende Personen? Ist es Zufall, daß neben dem Kino-Idol Julia Roberts sprödere Schauspielerinnen wie Glenn Close und Meryl Streep zu den meistgenannten Stars gehören oder man Sigourney Weaver in selbstbewußten "Männer-Rollen in den "Alien"-Filmen, Jodie Foster als hartgesottene und doch fraulich-sensible FBI-Agentin in "Das Schweigen der Lämmer" und jetzt Sarandon und Davis in der bedeutungsvollen Umkehrung eines alten Männerfilm-Klischees sieht? Vielleicht ist Hollywood tatsächlich auf dem Weg, sein Frauenbild zu revidieren. Und da die Filmindustrie meistens gesellschaftlichen Entwicklungen folgt und sie ihrerseits nicht schafft, hat das vielleicht etwas mit einem Umdenken zu tun, das über Emanzipationszirkel längst weit hinausgeht.