Vorstellungen
Filmkritik
Der Vorspann ist gestickt. Wildblumen, Sträuße und andere Kreuzstich-Muster gesellen sich zu den Namen der Darsteller:innen. Blumenbezüge kommen dazu, dann Holzmobiliar und schließlich all die Dinge, die Thelma (June Squibb) im Alltag begleiten: Die Tabletten-Sortierbox, die Mahjongg-Steine, der Fernseher und schließlich die eine Maschine, die nicht ganz zur Textur des Alters gehört: der Computer.
Auf geheimer Mission
Um ihn zu bändigen, braucht die mittlerweile 93-Jährige ihren Enkel Daniel (Fred Hechinger). Zwischen den Grundlagen des E-Mail-Verkehrs und den sozialen Medien gönnt sich das gut eingespielte Oma-Enkel-Team eine Pause. Von der Couch aus wird der Laufstil von Tom Cruise bewundert. Ja, es ist der 55-jährige Schauspieler persönlich, der da über die Dächer von London sprintet. Cruise hat’s auch im Alter noch drauf. Warum sollte es Thelma also nicht auch noch draufhaben?
Die Frage, die „Thelma“ schon zu Beginn stellt, ist so wenig originell wie die Betrugsmasche, die die Protagonistin kurz darauf auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Ein Fremder gibt sich am Telefon als Daniel aus und bittet sie, sofort eine stattliche Summe Bargeld zu schicken. Thelma ist hilflos und versucht, ihre Tochter Gail (Parker Posey) und den Schwiegersohn Alan (Clark Gregg) anzurufen. Vergebens. Beide sind zu beschäftigt. Also bringt sie 10.000 Dollar Bargeld zur Post.
Das Geld sei verloren, aber immerhin sei niemand verletzt worden, resümiert der Polizist. Aber Thelmas Familie würde die alte Frau fortan lieber in einer Einrichtung für betreutes Wohnen sehen, nicht bei einer Geheimmission zur Wiederbeschaffung des Geldes. Weniger Verantwortung und weniger Freiheit sind ohnehin die Standardantworten des übersensiblen Bildungsbürger-Ehepaars Gail und Alan, das weder der (Schwieger-)Mutter noch ihrem Sohn Daniel wirkliche Eigenständigkeit zugestehen möchte.
Im Bann von Tom Cruise
Doch Thelma wäre nicht Thelma, wenn sie ihren Altersstarrsinn nicht zu nützen wüsste. Also beginnt sie ihre eigenen Ermittlungen im Enkeltrick-Betrugsfall. Wer nicht mehr wie Tom Cruise laufen kann, muss sich anders zu helfen wissen. Also besorgt sich Thelma zunächst einen fahrbaren Untersatz. Dass der Senior-Scooter, den Thelma ihrem Freund Ben (Richard Roundtree) zu stehlen versucht, kein Sportwagen ist, macht für die Inszenierung von Josh Margolin zunächst einmal keinen Unterschied. Die Verfolgungsjagd mit 10 km/h Höchstgeschwindigkeit ist wie eine „Mission Impossible“-Jagd inszeniert.
Das definiert gewissermaßen auch die Gesamtheit des Humors, den „Thelma“ in immer neuen Variationen auftischt. Wenn Thelma und Ben, der sich ihr bald als „Co-Agent“ anschließt, auf Geheimmission gehen, ist nicht eine Terrorzelle, die sich gegen die Welt verschworen hat, der Gegner, sondern die nicht-barrierefreien Strukturen der zivilisierten Welt. Ihre Agenten-Spielzeuge sind Hörgeräte, mit denen man die Bösewichte abhören und die Partner anfunken kann. Treppenstufen, Stadtpläne, schmale Gehwege und Computertastaturen sind die unmöglichen Missionen.
Der Witz aber wird schnell alt. Auch weil Regisseur und Autor Margolin keinen Grund sieht, die dramatischen Schrauben anzuziehen, obwohl jeder Fehltritt einen gebrochenen Oberschenkel und damit ein potenzielles Todesurteil bedeuten könnte. „Thelma“ ist ein sanfter Film. Der Humor bleibt liebenswürdig, die Erzählung ganz dem Tempo der Protagonistin treu und die Action durchgehend in Watte gepackt.
Was man sich im Alter wünscht
Thelmas Mission besitzt allerlei Eskalationspotenzial. Der Film drumherum ist aber auf der Seite von Ben, der lieber zum sicheren, strukturierten Lebensalltag in der Altersresidenz zurückkehren möchte. Der gefällige Tonfall verdirbt ein Stück weit den Spaß, verträgt sich aber gut mit dem eigentlichen Kern der Geschichte, der nicht von gebrechlichen Menschen in Actionfilm-Szenarien erzählt, was der Film spätestens dort offenbart, wo Thelma die Trickbetrüger konfrontiert.
„Thelma“ sinniert vielmehr über das Altern zwischen modernen Privat- und Familienstrukturen und fragt sich, wie selbstständig man sein sollte, wenn man hilfsbedürftig wird. Wo fängt der Konformismus an und hört die Bevormundung auf? Oder wäre es besser, gegen das anzurennen, was Zyniker „Warten auf den Tod“ nennen? Das Altenheim bietet schließlich jene Strukturen, die ein einsamer Mensch sich im Alter wünscht. Die Antwort überlässt der Film ganz den Senioren. Sie fällt entsprechend eher altersmilde als ekstatisch aus. Als Duktus für einen zumindest fingierten Action-Thriller ist das dann doch rührend.