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Filmkritik
Das Kino ist in dem Moment zu Ende gegangen, in dem die Konzentrationslager nicht gefilmt wurden, lautet ein Satz von Jean-Luc Godard, der unter anderem in seinen „Histoire(s) du Cinema“ auftaucht. Einer der klügeren Sätze des streitbaren Filmdenkers ist dies vielleicht gerade deshalb, weil gar nicht so klar ist, was genau Godard mit ihm meint. Schließlich wurden die Konzentrationslager nach ihrer Befreiung durchaus gefilmt, etwa von George Stevens oder Samuel Fuller. Ein Film, der vor der Befreiung entstanden wäre, wäre hingegen zwangsläufig ein Film aus Sicht der Täter gewesen. Und selbst wenn ein solcher Film existierte, würde er keineswegs „die Lager“ zeigen, sondern höchstens eine Perspektive auf ein Lager zu einem bestimmten Zeitpunkt. Die Gesamtheit des Schreckens bliebe weiter ungefilmt. Vielleicht, so könnte man Godards Satz ergänzen, ist 1945 das Kino oder etwas im Kino zu Ende gegangen, weil das Kino sich anhand der Konzentrationslager darüber klar wurde, dass etwas zu filmen immer auch heißt, etwas nicht zu filmen. Dass jedes Bild nicht nur Sichtbarkeit, sondern auch Unsichtbarkeit produziert: ein Off, dessen kategorische Abwesenheit das Bild als eine kontingente Auswahl, als Konstruktion brandmarkt.
Jonathan Glazers „The Zone of Interest“ ist ohne Zweifel ein Film, der genau darauf reagiert: auf das Wissen des Kinos um den Verlust seiner Unschuld. Der nicht aus der Unmittelbarkeit des (nachinszenierten) Schreckens, sondern aus der Differenz zwischen Gezeigtem und Nichtgezeigtem kinematografisches Kapital zu schlagen versucht. In gewisser Weise inszeniert Glazer das, worauf Godards Satz zumindest implizit verweist: einen Film über die Shoah aus Täterperspektive. Nur, dass die Opfer in „The Zone of Interest“ erst recht unsichtbar bleiben.
Ein idyllisches Anwesen
Das Problem, das dieser Film – womöglich – hat, ist allerdings keines der Perspektive, sondern eines der inneren Motivation seiner Bilder. Der Täter, um den es geht, ist ein Haupttäter: Rudolf Höß (im Film gespielt von Christian Friedel) war zwischen 1940 und 1943 Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz und anschließend bis 1945 in anderen federführenden Funktionen an der massenhaften, industriemäßigen Ermordung von Juden in den Lagern beteiligt. Zentraler Schauplatz des Films ist das idyllische Anwesen, in dem Höß während seiner Auschwitz-Jahre gemeinsam mit seiner Familie lebte. Wie eng sich das Höß’sche Domizil tatsächlich an das Lager schmiegt, entdeckt man erst nach und nach. In der ersten Einstellung ist der historische Schrecken noch weit weg. Stattdessen sieht man eine Familie im Grünen beim Badeausflug, gefilmt in einer friedvollen, an impressionistische Landschaftsmalerei erinnernden Totalen. Auch wenn die Badegruppe sich bald darauf nach Hause begibt, dauert es noch ein bisschen, bis ein Umschnitt plötzlich im Hintergrund den Stacheldraht des Lagers sichtbar werden lässt. Der Garten der Familie Höß teilt sich mit der Todesfabrik eine Mauer.
An der Gartenseite möchte Höß’ Frau Hedwig (Sandra Hüller) die Mauer noch etwas weiter bepflanzen und zuwachsen lassen. Um das Lager vergessen zu machen? Wohl kaum. Was Hedwig stört, ist die hässliche, kahle Mauer selbst, nicht das, was sie verbirgt. Über die kleinen Schönheitsfehler des Massenmords, die in die Idylle, die sie für sich und die ihren eingerichtet hat, gelegentlich hineinragen, hat Hedwig hinwegzuschauen gelernt. Nicht für sie, nur für das Publikum erscheint es als Skandal, wenn die Bilder wieder und wieder das ausgesperrte, internierte, eliminierte Off im On der Bildes aufscheinen lassen. Etwa als Skelettfragment, das Rudolf Höß aus dem Fluss fischt, in dem seine Kinder baden. Oder, besonders krass, als Asche, die im Garten der Familie der Erde als Dünger beigemischt wird. Vor allem aber drängt die Realität der Vernichtung über die Tonspur in den Film, in Gestalt von Gewehrsalven, gebellten Befehlen, Schmerzensschreien, einem Soundteppich der unspezifischen und eben auch gesichtslosen Unmenschlichkeit, in den der Alltag der Höß-Familie durchgängig eingebettet bleibt.
Ins Disharmonische driftende Tonflächen
Gestaltet hat die Tonspur die nichtbinäre Musikerin Mica Levi, die schon bei „Under the Skin“ mit Glazer zusammenarbeitete. Sie ist keineswegs einem sensorischen Realismus verpflichtet, sondern arbeitet konsequent gegen eine eindeutige Identifizierung und Verortbarkeit der diversen Klangereignisse ab, die sich gelegentlich zu offen artifiziellen, drone-artig repetitiven, ins Disharmonische abdriftenden Tonflächen verdichten. Auch die Bilder brechen mehrmals aus ihrer protokollhaften, das Alltagsleben der Familie Höß wie mechanisch registrierenden Nüchternheit aus. Etwa, wenn eine Rotblende den gesamten Bildraum überschwemmt, oder wenn verfremdete Traumszenen eine Solidarität mit den Häftlingen imaginieren, die in der Welt, die „The Zone of Interest“ darstellt, ansonsten kategorisch ausgeschlossen scheint.
Zweifellos sind die ästhetischen Strategien des Films oft äußerst effektiv. Wenn im Inneren des Hauses das Licht gelöscht wird, ist durch die plötzliche Dunkelheit im Vordergrund durchs Türfenster hindurch der Rauch zu sehen, der aus den Schornsteinen des Krematoriums aufsteigt. Eine andere, nur auf den ersten Blick harmlosere Art von Rauch steigt in gleich zwei Szenen im Bildhintergrund über dem Höß’schen Gartenzaun auf und entstammt vermutlich einer Dampflokomotive, die, so muss man annehmen, neue Opfer in Richtung der Gaskammern befördert. Glazer beherrscht die Kunst, den Schrecken der Lager gleichzeitig sichtbar und unsichtbar zu machen, so brillant wie wenige andere Regisseure.
Vielleicht musste der Film allein deshalb gedreht werden, weil diese Bilder vorher so nicht existierten, weil sie eine Lücke im Katalog der audiovisuellen Bezugnahmen auf das große Menschheitsverbrechen des 20. Jahrhunderts schließen. Aber ist „The Zone of Interest“ deshalb bereits mehr als eine Aneinanderreihung fein gedrechselter Kabinettstückchen? Mehr als eine Serie von die Geschmacksgrenzen der Arthouse-Bildsprache stets respektierenden Wahrnehmungsparadoxien, die letztlich nicht hinausführen über eine wohlfeile, ästhetisch verbrämte Angstlust? Wird in Glazers Bilderbogen der abgründigen Hausfrauenidylle die „Banalität des Bösen“, jene Formel von Hannah Arendt, die kaum eine Besprechung des Films übergeht, möglicherweise selbst zur Banalität?
Die „Königin von Auschwitz“
Es ist vielleicht in erster Linie Glazers allzu kalkulierte Informationspolitik, die Zweifel daran weckt, ob man es hier wirklich mit dem großen Wurf zu tun hat, zu dem der Film seit seiner Cannes-Premiere vielerorts erklärt wurde. Nur aus einem im Vorübergehen gesprochenen Satz erfährt man zum Beispiel, dass das Teenager-Mädchen, das gelegentlich verschüchtert durch die Stuben der Familie Höß huscht, Schnapsgläser nach draußen oder benutztes Geschirr in die Küche bringt, keine Jüdin aus dem Lager, sondern eine Polin aus der Nachbarschaft ist; die von ihrem Mann zur „Königin von Auschwitz“ gekürte Hedwig droht dem Mädchen dennoch aus kleinlicher Genervtheit schon mal die Einäscherung an. Mit dieser bitterbösen Pointe hat sich das Interesse des Films an dieser Figur allerdings auch schon wieder erledigt.
Zu kritisieren ist daran nicht, dass Glazer Mechanismen der Aufmerksamkeitssteuerung anzuwenden versteht, die zwar nicht dieselben sind wie die der Kulturindustrie, aber letztlich genauso formalistisch, also unter Absehung der Inhaltsebene, funktionieren; sondern, dass er es im Großen und Ganzen dabei bewenden lässt, also bei der fast schon seriell anmutenden Produktion von Kippbildern zwischen Alltag und Schrecken. Aller Raffinesse im gestalterischen Detail zum Trotz führt der Film kaum über den bereits in den Eingangsszenen etablierten Skandal einer in die Überschreitung eingepassten Normalität hinaus.
Insbesondere verzichtet Glazer fast vollständig darauf, sein Material dramatisch zu durchformen. Die Handlung im engeren Sinne beschränkt sich darauf, dass Höß von Auschwitz abberufen und nach Berlin versetzt wird, seine Frau jedoch auf eigenen Wunsch mit den Kindern im Haus neben dem Vernichtungslager wohnen bleibt. Zum Ehedrama im nationalsozialistischen Führungsmilieu wird „The Zone of Interest“ dabei zum Glück nicht. Fluchtpunkt des Films bleibt vielmehr stets Hedwigs Kampf um die, aus ihrer Sicht, selbsterschaffene Idylle. „The Zone of Interest“ ist von der Vision eines blühenden Gartens neben den Todesmühlen letztlich, wenn auch aus anderen Gründen, genauso besessen wie die „Königin von Auschwitz“ – eine Paradoxie, die vom Film nicht mitreflektiert wird.