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Filmkritik
Robert Siodmaks "Die Wendeltreppe" gehört längst zu den Klassikern des Gruselfilms. Ihre Vorzüge versteht man heute besser zu schätzen, nachdem die Entwicklung des Genres immer weiter von den Kennzeichen der angelsächsischen Gruselgeschichte fortgeführt hat. Im Vergleich mit Siodmaks Film offenbart sich die äußerlich-brutale Horrorwirkung heutiger Produktionen um so deutlicher und unangenehmer. Selbst wenn sich Regisseure wie Roger Corman auf typische Vorlagen aus der klassischen Gruselliteratur berufen ("Das Pendel des Todes", "Der grauenvolle Mr. X"), so bringen sie dennoch die spezifische Atmosphäre, ohne die kein Produkt dieser Gattung auskommen kann, nicht mehr zustande. "Die Wendeltreppe" ist thematisch nicht besser als Dutzende anderer Stoffe, aber sie basiert auf einer grundsätzlich anderen Vorstellung vom Wesen der "tales of terror", die sich aus einer geistigen Verwandtschaft vor allem mit Erzählungen von Stevenson und E. F. Benson herleitet.
Schon der gleichbleibende Schauplatz, das altpatrizische Landhaus im wilden Park, ist typisch für diese Art von Schauergeschichten. Ebenso der scheinbar unveränderliche Zustand der Personen, die an dieses Haus gefesselt erscheinen, so wie die alte Mutter an das Krankenbett gekettet ist. Jedes Sich-Entfernen-Wollen - sei es eine geplante Abreise, sei es nur der Kontakt mit der Außenwelt - ist gleichbedeutend mit einem Sichauflehnen gegen die bedrohlichen Kräfte, in deren sich langsam verengendem Netz die Heldin schließlich beinah gefangen wird. Die Ausweglosigkeit wird weiter gesteigert durch das körperliche Gebrechen des Mädchens: es hat in der Kindheit durch einen Schock die Sprache verloren. Der unheimliche Mörder, der das Provinzstädtchen in Spannung versetzt, sucht seine Opfer nur unter körperlich benachteiligten Wesen. Helen, Krankenpflegerin in dem alten Haus, fühlt die tödliche Bedrohung immer deutlicher auf sich zukommen. Der Mörder muß im Haus sein. Durch einen falschen Verdacht bringt sie sich selbst in eine aussichtslose Lage. Der rettende Kontakt zu dem geliebten Arzt ist ihr versagt: sie kann sich dem Fräulein vom Telefonamt nicht verständlich machen. Da greift im Augenblick höchster Bedrohung die kranke Frau zu einem Revolver...
Nicht die mörderischen Vorgänge sind es, die dem Film als Effekt dienen, sondern die äußeren Zeichen der Bedrohung. Während heutige Filme es sich nicht entgehen lassen, Morde und Leichen möglichst in die Großaufnahme zu zerren, ist es hier nur der Blick auf ein drohendes Auge, auf das langsame Verkrampfen der Hände des Opfers, der Kenntnis von den Untaten gibt. Nicht die Tat selbst ist Höhepunkt der Schreckenswirkung, sondern die voraufgehenden Augenblicke begründeten wie unbegründeten Verdachts rufen im Betrachter das beklemmende Gefühl hervor, das kennzeichnend zu dieser Art von Erzählungen gehört. Furchterregende Züge nimmt die im Milieu der Jahrhundertwende belassene Umgebung durch die Aufbietung aller erdenklichen Möglichkeiten des Dekors, des Bildes und der Geräuschkulisse an. Das Spiel von Licht und Schatten, ein nicht endenwollendes Gewitter, plötzlicher Luftzug, der durch den Keller streicht, klappernde Fensterläden, schlagende Gatter und vor allem ein Mobiliar von der Skurrilität eines verblichenen mondänen Zeitalters - all diese Attribute des angelsächsischen Gruselstücks versammeln sich zu dem einen Zweck, dem Betrachter eine Atmosphäre zu suggerieren, die den Nährboden für jene gespannte Erwartung abgibt, die den Zuschauer hinter jedem realen Vorgang drohendes Unheil ahnen läßt. Es dürfte kaum Zufall sein, daß Robert Siodmak dieses typische Beispiel einer Transponierung literarischer Gruselelemente zustande brachte. Die Vorlieben der "tales of terror" und der deutschen Stummfilm-Generation, der seiner Entwicklung nach auch Siodmak zuzurechnen ist, treffen sich in zahlreichen Gemeinsamkeiten. Kennzeichnend hierfür ist vor allem die Eingangssequenz der "Wendeltreppe", zugleich die beste Szene des ganzen Films, als im ersten Stock eines kleinen Hotels ein Mädchen ermordet wird, während darunter eine Vorführung früher Stummfilme stattfindet. Selbstverständlich gibt es in dem schon 1945 entstandenen Film auch Passagen, die sehr deutlich dem Geschmack der damaligen Zeit entsprechen; sie wirken veralteter als die Stummfilm-Anklänge. Insbesondere die damals hochgelobte Traumszene, in der sich die Stumme mit dem geliebten Arzt vor dem Altar sieht und das Jawort nicht zu sprechen vermag, erscheint heute nur noch als deplacierte Kuriosität.
Besprechung aus Heft 4/1948:
Der Urheber zahlreicher geheimnisvoller Mädchenmorde wird unmittelbar vor dem beabsichtigten Mord an seiner stummen Hausangestellten von seiner eigenen Mutter erschossen. Das stumme Mädchen erlangt durch die schrecklichen Vorfälle dieser Nacht seine Sprache wieder.
Was geschehen konnte, einen so effektvollen Kriminalreißer künstlerisch durchzuarbeiten und überzeugend zu gestalten, ist hier geschehen. In erster Linie muß die hervorragende Hauptdarstellerin genannt werden, deren stillscheue, reife Verinnerlichung der Rolle des stummen Mädchens eine vollendet glaubwürdige Prägung gab. Der Kamera gelangen meisterhafte, spezifisch filmische Momente - so das Spiel der verkrampften Hände, ohne den Blick auf die gewürgten Opfer freizugeben, die Szenen im Keller, als durch eine unmerklich geöffnete Tür plötzlich Blätter von alten Truhen geheimnisvoll herabgleiten und ein gefahrdrohender Hauch über die Spinnweben streicht - und andere Szenen mehr. Das endlos andauernde Gewitter mit seinem immer im rechten Moment einsetzenden Donnerschlägen allerdings gemahnt allzusehr an plumpen Effekt und geht allmählich auf die Nerven.
Auch von dem wiederholt in schier unerträglicher Großaufnahme starrenden Mörderauge können wir eher das schmunzeln als das Gruseln lernen.
Ausgezeichnet erdacht und fotografiert ist hingegen die Hochzeitsphantasie des stummen Mädchens, in der es vom Geistlichen zum Jawort aufgefordert wird und zum Befremden, zum Entsetzen aller Anwesenden nicht sprechen kann..., wie diese monotone "So sprechen Sie ja" dumpf weiterhallt und endlich ins Bewußtsein emportaucht, ist vorbildlich. Die mit dem sechsten Sinn ausgestattete, revolverschwingende Mutter bleibt eine zwiespältige Erscheinung, ebensowenig klar gezeichnet sind die anderen Typen.