- RegieMax Eriksson
- ProduktionsländerSpanien
- Produktionsjahr2021
- Dauer100 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- AltersfreigabeFSK 12
- IMDb Rating7.2/10 (300) Stimmen
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Filmkritik
Zu Beginn spricht Ali Boulala über die Narben in seinem Inneren; sie seien das Schlimmste. Gebrochene Knochen, Risse im Schädel, alles nicht so schlimm. Der Ali Boulala von heute hat nur noch wenig mit dem ehemaligen Skateboard-Star gemeinsam. Alte Aufnahmen zeigen den jungen Ali, einen verwegenen Teenie, der mit lässiger Eleganz, vollkommen angstfrei und scheinbar schwerelos auf seinem Board über Straßen und Wege gleitet, die Schnapsflasche in der Hand.
Geblieben sind ihm die Schlaksigkeit und die dunklen Wuschelhaare. Als Sohn einer finnischen Mutter und eines algerischen Vaters wurde Ali Boulala 1979 in Schweden geboren und wuchs in Stockholm auf. Die ersten Bilder auf einem Skateboard stammen aus dem Jahr 1991; da hatte er schon die ersten Wettbewerbe gewonnen. Seine Mutter erinnert sich, dass er nur noch skaten wollte, Tag und Nacht. Alles andere war unwichtig. Boulala wurde zum schwedischen Skateboard-Wunderkind mit tollkühnen „Ollies“, Sprüngen auf dem Board, bei denen der Sportler mit seinem Brett durch die Luft segelt, ohne die Hände einzusetzen.
„Mist bauen“ bis zur Tragödie
Aus dem mutigen Kind wurde ein waghalsiger Teenie, der das Interesse von Sponsoren weckte. Mit 16 kam die große Chance. Ali reiste in die USA, wurde Profi und Mitglied der globalen Skateboard-Community. Seine Fans liebten und verehrten ihn. Da hatte er allerdings schon mit Alkohol und Drogen angefangen. Von Jahr zu Jahr wurde Ali immer obsessiver und draufgängerischer. Er lebte mit seinen Kumpels aus der Szene zusammen, gingen mit ihnen auf Tour, trainierte, machte aber immer wieder auch das, was sie „Mist bauen“ nannten: Sprünge von Dächern, im Suff über Treppen boarden, im Supermarkt Fußball spielen.
Aus den Dumme-Jungs-Streichen der ersten Jahre wurden kindische Männer-Rituale, Alkohol- und Drogen-Exzesse. Sie waren frei, leidenschaftlich und hemmungslos, und Ali war der Furchtloseste und Exzentrischste von ihnen, immer nach dem Motto: Es geht gut, solange es gutgeht.
Irgendwann aber war Schluss, als Ali zugedröhnt aufs Motorrad stieg, seinen besten Freund Shane auf den Sozius lud und mit ihm nach wenigen Metern verunglückte. Shane wurde dabei getötet, Ali lag mit schwersten Verletzungen mehrere Monate im Koma. Sein Weg zurück ins Leben führte ihn nicht nur durch jahrelange Reha-Maßnahmen, sondern auch ins Gefängnis, wo er die Strafe für die Unfallfahrt absaß.
Zurück in die wilden 1990er-Jahre
Der Filmemacher Max Eriksson fängt die Atmosphäre der 1990er-Jahre ein, zeigt Alis Feuer und Leidenschaft, die Lässigkeit und die Coolness; er begleitet aber auch den älteren Ali, der gereift wirkt, aber auch verloren. Eriksson lässt Boulala weitgehend selbst erzählen und macht ihn auf diese Weise zum Moderator seiner eigenen Biografie. Das gibt dem Film von Anfang an eine gewisse Spannung. Das Statement zu Beginn oder wenn er mit seiner Mutter in alten Kisten kramt und eingesteht, dass er sich an vieles kaum noch erinnern kann, sind erste kleine Andeutungen, die zunächst aber kaum ins Gewicht fallen, da es zunächst zurück in die wilden 1990er-Jahre der Punks geht, zu Baggy-Hosen und wehenden Haaren, in die große Zeit der Skateboarder, die mit ihrer verwegenen Akrobatik andere Jugendliche mitrissen.
Ali war einer von ihnen, und er liebte es zu posieren. Er war der Größte, und vielleicht dachte er wirklich, dass ihm nichts passieren könne. Aber möglicherweise wollte er einfach nur ein Kind bleiben: ein kleiner Junge, der für seinen Sport lebt und nichts anderes im Kopf hat. Und der dann plötzlich feststellte, dass er immer älter wurde und nur sein Skateboard hatte. Vielleicht waren Alkohol und Drogen die einzige Möglichkeit, den Erwachsenen zu betäuben und das Kind am Leben zu erhalten. Doch Max Eriksson lässt Ali Boulala trotz aller Bekenntnisse auch sein Geheimnis – eine besondere Art, ihm Respekt zu erweisen. Es gelingt ihm, Ali zum Sympathieträger zu machen, ihn aber weder zu heroisieren noch anzuklagen.
Eriksson vergegenwärtigt Ali Boulalas Geschichte anhand von visuell sehr unterschiedlichen Filmdokumenten, die zum großen Teil von Amateuren erstellt wurden und die mit einem wummernden Sound unterlegt sind. Kurze Clips sorgen zwischendurch immer wieder für kleine Irritationen und beleben die Handlung. Dazu gehören Bilder vom Skaten und vom Training ebenso wie von Alkoholabstürzen. Durch den genialen Bildschnitt entsteht beinahe der Eindruck einer Langzeitdokumentation, in die scheinbar zufällig Interviews aus der Gegenwart eingeflochten werden.
Von einem, der alles verlor
Ergänzend zu eigenen Worten kommen viele seiner Freunde zu Wort, aber auch seine Mutter und sein Bruder. Doch der Film erschöpft sich nicht in Ali Boulalas wilder Jugend und ihrem schrecklichen Ende. Ohne moralischen Zeigefinger und ohne auf die Tränendrüsen zu drücken, erzählt Eriksson die spannende Geschichte eines Jungen, der bewusst oder unbewusst immer wieder sein Glück herausforderte, bis er alles verlor und von vorne anfangen musste.
Es gibt dabei keinen direkten Bruch in der Story, aber eine klare Dramaturgie. Die erste Hälfte des Films handelt von Alis verblüffendem Aufstieg, die zweite Hälfte von seinem Fall und seiner Rückkehr in ein Leben, das mit dem vorherigen nichts mehr zu tun hat. Der Junge, der vor dem Erwachsensein wegskaten wollte, wurde gewaltsam mit einer Wirklichkeit konfrontiert, die er nicht verkraftete.
Der Gegensatz zu früher könnte kaum größer sein. Der Film zeigt den 40-jährigen Ali Boulala als herzzerreißenden Anti-Helden, ohne ihn als solchen zu inszenieren. Heute ist Boulala schwarz gekleidet wie ein Büßer; manchmal spricht er wie ein alter Mann, läuft staksig und langsam. Er lächelt nur selten. Ein ernsthafter Mann mit traurigen Augen und einem melancholischen Blick.
Den Kampf gegen Alkohol und Drogen hat er gewonnen – inzwischen lebt er abstinent und ist clean. Aber der Kampf um seine Schuld ist noch längst nicht entschieden. Boulala kann sich selbst nicht verzeihen. Er steht dazu, für den Tod seines besten Freundes verantwortlich zu sein. Er fühlt sich schuldig, schon allein deshalb, weil er überlebt hat. Ein Teil seiner selbst sei mit Shane gestorben, sagt er. Seitdem ist er nie wieder auf einem Skateboard gestanden.