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Filmkritik
Der Westernheld ist die wohl männlichste Erscheinung auf der Kinoleinwand, jedenfalls in der konservativ definierten Vorstellung von Männlichkeit. In klassischen Western setzen sich Cowboys mit locker sitzenden Colts gegen „Indianer“, Schurken oder Rivalen zur Wehr, kämpfen für Gerechtigkeit und halten US-amerikanische Werte hoch. Schauspieler wie John Wayne, Gary Cooper, James Stewart, Kirk Douglas oder Henry Fonda verkörperten diese Helden zwischen heiligem Ernst und nuancierter Nachdenklichkeit – und zuweilen mit einer Prise Selbstironie. Degradierten die Italo-Western ihre Helden zu berechnenden Killern, arbeiteten zwischen den 1960er und 1990er Jahren US-Regisseure wie Sam Peckinpah, Arthur Penn oder Clint Eastwood an der Entheroisierung des Westernhelden.
Doch dieser blieb bis zum Schluss trink- und schießfreudig, stellte alles Mögliche in Frage, aber gewiss nicht seine Sexualität. Dass sich nun nach Kelly Reichardt („Auf dem Weg nach Oregon“, „First Cow“) mit Jane Campion eine weitere Regisseurin an einen Western heranwagt, lässt einen alternativen Blick auf Maskulinität in diesem bis dato sehr männerdominierten Genre erhoffen. Und die neuseeländische Meisterin enttäuscht nicht.
Das Auftauchen einer Frau in einer archaischen Männerwelt
Campions Western spielt in den 1920er-Jahren in den Weiten Montanas. Anderswo mag der „Wilde Westen“ längst passé sein, doch auf der großen Ranch, die die Brüder Phil (Benedict Cumberbatch) und George Burbank (Jesse Plemons) seit 25 Jahren betreiben, scheint die Zeit stillzustehen. Doch während Phil sich ganz mit der Rolle des einsamen Cowboys archaischen Zuschnitts identifiziert, kleidet sich George städtisch und versteht sich mehr als moderner Geschäftsmann. Außerdem sehnt sich George, der mit seinem älteren Bruder immer noch das Schlafzimmer teilt, nach weiblicher Gesellschaft. Bei einem Zwischenstopp mit der Herde verliebt er sich in die verhärmte Witwe Rose (Kirsten Dunst). Kurz darauf heiraten die beiden, und Rose zieht auf die Ranch – sehr zum Missfallen von Phil. Dieser setzt nun alles daran, Rose das Leben auf der Ranch zur Hölle zu machen: Mit subtilen, aber hartnäckigen Psychospielchen zermürbt er sie. Von ihrem ahnungslosen Ehemann George erhält Rose kaum Unterstützung und verfällt zunehmend dem Alkohol.
Doch dann nimmt der Film eine überraschende Wendung. Phil lässt von seinem Opfer ab und wendet sich Peter (Kodi Smit-McPhee), Roses hochsensiblem, feingliedrigen Sohn, zu. Zuvor hatte Phil sich in der Gesellschaft seiner Cowboys über den fast mädchenhaft anmutenden jungen Mann und seine aus Papier gebastelten Blumen noch lustig gemacht. Doch statt ihn weiter zu quälen, nimmt Phil Roses Sohn nun unter seine Fittiche. Er will aus Peter, dessen Interessen eher der Kunst und der Medizin gelten, einen „echten Kerl“ machen. Erst allmählich findet Peter heraus, warum Phil auf einmal solche Beschützerinstinkte entwickelt.
Sporenklirrendes Cowboytum als Fetisch und Maskerade
„The Power of the Dog“ spielt lange nach der Eroberung des Westens. Die Frage nach Recht und Ordnung oder Patriotismus stellt sich nicht mehr, und Revolver sind mittlerweile eher dekorative Accessoires denn überlebensnotwendige Waffen. Warum kapriziert sich Phil also dermaßen darauf, als Cowboy alter Schule durchzugehen? Einige Fähigkeiten braucht er im Umgang mit den Rindern: So kann er emotionslos einen Bullen kastrieren oder – mit viel Hingabe – Lassos knüpfen. Doch seine demonstrative, sporenklirrende Verkörperung des Cowboytums scheint seltsam überzogen für einen Mann, dem eigentlich andere Möglichkeiten offenstehen: Phil hat in Yale studiert, zelebriert aber trotzdem das mittlerweile anachronistisch anmutende Leben des Herdentreibers, dem man den Stallgeruch jederzeit anriecht. So platzt er ungewaschen in einen Empfang seines Bruders und spielt den Partyschreck. Auch sein Mobbing gegen Rose gibt Rätsel auf. Ist er eifersüchtig, missgünstig, possessiv?
Doch wie die meisten Mobber hat auch Phil etwas zu verbergen. Peter beobachtet ihn heimlich beim einsamen Baden in einem Bach, wie er geradezu fetischhaft an einem Seidentuch riecht, das ihm sein ehemaliger Mentor geschenkt hat. Auch einen Sattel dieses Mannes verehrt Phil kultisch, und in einer Truhe findet Peter Magazine von nackten Muskelmännern. Bald dämmert es Peter und dem Publikum, dass Phils Einsamer-Wolf-Lebensstil eine – von Moral und Gesetzen der Zeit beeinflusste – Einsicht in die Notwendigkeit ist. Es bedarf allerdings auch der schauspielerischen Größe eines Benedict Cumberbatch, um diese zerrissene Figur glaubwürdig darzustellen, ihre Grausamkeit und Verletzlichkeit gleichermaßen zu zeigen.
Natur als Rückzugsraum
Mit seiner Selbstinszenierung hat Phil eine Nische gefunden, in der er sich und sein Begehren auf paradoxe Weise ein Stück weit ausleben und gleichzeitig (vor sich selbst und anderen) verbergen kann. Für Phil ist die Abkehr vom modernen bürgerlichen Leben ein Verstecken in aller Öffentlichkeit. In der in prächtigen Einstellungen gefilmten rauen Natur trägt er einen Kampf mit sich selbst aus.
Natur erscheint bei Campion, die hier 16 Jahre nach „Brokeback Mountain“ einmal mehr das heteronormative Männlichkeitsbild des Westerngenres bildgewaltig und sinnlich dekonstruiert, nicht als die tödliche Gefahr, die sie noch im klassischen Western war, sondern als Rückzugsraum. Die sogenannte Zivilisation wird dagegen zur Enge, in der man sich sittlichen Gesetzen wie Heirat, Familiengründung und der Ausübung eines respektablen Berufs unterwerfen muss. Auch Rose bekommt diese Rolle nicht: Der Aufstieg von der Witwe zur erneuten Ehefrau misslingt, zerbricht sie doch fast an der Einsamkeit in der weitläufigen Ranch, deren ausladende Räumlichkeiten sie paradoxerweise als Gefängnis empfindet. Auch hier vollzieht sich ein Rollenwechsel von der klassischen Westernbraut, die entweder als wackere Hausfrau oder hemdsärmelige, wehrhafte Streiterin den Männern bei der Eroberung des Westens nacheifert, hin zu einer im Prozess der Verbürgerlichung verlorenen Gattin, was Kirsten Dunst eindrucksvoll spielt. Der Wechsel der Perspektive von der gemarterten Frau hin zum Innenleben ihres Peinigers, den der Film in der zweiten Hälfte vollzieht, scheint da nur folgerichtig.
Musikalisch unterlegt wird Campions psychologischer Western von dem großartigen Score Jonny Greenwoods, der mal mit unheilverkündendem Klampfen, mal mit elegischen, Hoffnung verheißenden Streichern auf den Wechsel der Generationen von Phil zu Peter verweist. Denn zwischen allen Gefühlslagen und Machtverhältnissen steht Roses Sohn, der alles durchschaut, sich aber in Diskretion übt. Phil schlägt mit der Fürsorge für Peter, die er im Lauf des Films entwickelt, zwei Fliegen mit einer Klappe: Er verwirklicht die ersehnte Nähe zu einem Mann und versteckt sie hinter einer Art Väterlichkeit – schließlich ist Peter Halbwaise. So handelt „The Power of the Dog“ von einem fragilen Sich-Einrichten im Verzicht, ähnlich einem priesterlichen Zölibat. Peter allerdings ist auf Phils Fürsorge nicht angewiesen – er entpuppt sich als viel klarsichtiger und selbstbewusster, als man ursprünglich annimmt. Die Vorzeichen verkehren sich. Schwach ist nicht einer wie Peter, der zu seiner femininen Seite steht, sondern jener, der sich selbst und anderen die eigene Männlichkeit beweisen muss.