- RegieVáclav Marhoul
- ProduktionsländerSlowakei
- Dauer169 Minuten
- GenreDramaKriegsfilm
- Cast
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Filmkritik
Atemlos und gehetzt wie ein Tier läuft ein kleiner Junge durch den Wald, auf der Flucht vor einer Gruppe Gleichaltriger. Seine Arme halten ein winselndes Fellbündel umschlungen, das ihm von den Verfolgern aber doch noch entrissen wird. Zu Boden gestürzt, muss das Kind unter Schlägen und Tritten etwas Entsetzliches mitansehen: Das hilflose Lebewesen wird von seinen Peinigern mit Benzin übergossen und in Brand gesetzt. In einer Großaufnahme wendet der Junge das Gesicht der Kamera zu. Sein Blick fordert die Zuschauer heraus: „Werdet ihr hinsehen können?“, scheint er in diesem filmischen Prolog zu fragen.
Die Notwendigkeit, Gewalt zu bezeugen, ist ein zentrales Anliegen des berühmten Romans von Jerzy Kosinski, einem polnischen Schriftsteller und Holocaust-Überlebenden, der „The Painted Bird“ als Vorlage dient. Der autobiografische Anspruch des Buches war zur Zeit seines Erscheinens im Jahr 1965 umstritten; er führte damals zu einer verfehlten Authentizitätsdebatte. Für den tschechischen Regisseur Václav Marhoul aber steht außer Frage, dass „The Painted Bird“ in erster Linie als Kunstwerk verstanden werden soll, dessen poetische Wahrheit durch die Kraft des Films zu vermitteln ist. Dies gelingt eindrucksvoll durch stilisierte Schwarz-weiß-Aufnahmen, gedreht auf 35mm-Film, die im Cinemascope-Format eine intensive Wirkung entfalten.
Aberglaube, Verrohung und Armut
Nahe an der Struktur des Romans inszeniert Marhoul die Geschichte eines namenlosen Kindes, das in einer nicht näher bezeichneten osteuropäischen Region von seinen Eltern in fremde Obhut gegeben wird, um es vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu schützen. Doch der Kontakt reißt ab, und der Sechsjährige bleibt auf sich allein gestellt zurück, im Haus einer älteren Bäuerin.
Auf dem Land herrschen Aberglaube, Verrohung und Armut. Mit seinem glänzenden schwarzen Haar und dunklem Teint wirkt der feinsinnige Junge von Beginn an wie ein Fremdkörper in einer ländlichen Welt, die ihn das auch brutal spüren lässt. Ein altes Familienfoto, das er betrachtet, und ein siebenarmiger Kerzenleuchter verweisen auf seine jüdische Herkunft. Als die alte Frau das Zeitliche segnet, beginnt erst seine eigentliche Tour de Force, die Flucht durch ein Land, in dem Krieg und Besatzung gegenüber der alltäglichen Gewalttätigkeit der Menschen beinahe Epiphänomene sind.
Die Natur der Grausamkeit
„The Painted Bird“ erreicht bereits in seiner Romanform eine analytische Präzision, die über seine historische Situierung hinausgeht und existenzielle Fragen nach dem Wesen der Grausamkeit stellt. Diese kreisen immer wieder um Berührungspunkte zwischen Mensch und Tier. Eine bestialische Tat mag inhuman sein, sie unterscheidet sich dennoch von tierischer Wirklichkeit, denn sie ist zu einer von jeder Instinkthandlung entkoppelten Erbarmungslosigkeit fähig.
In der titelgebenden Szene hat der kleine Junge vorübergehend Zuflucht bei einem Vogelhändler in dessen Hütte voller Käfige gefunden. Ab und zu bereitet es dem alkoholkranken Mann Vergnügen, einen der gefangenen Singvögel mit Farbe zu bemalen und so lange zu drangsalieren, bis sein Rufen einen Schwarm von Artgenossen anlockt. Plötzlich freigelassen, flieht der bemalte Vogel in die Höhe, um Schutz in ihrer Mitte zu suchen, doch sein fremdartiges Aussehen führt zu einem Exzess an Gewalt, die ihn bald schon von Schnäbeln zerhackt zu Boden stürzen lässt. Liegt die Feindschaft gegenüber dem Andersartigen in der Natur? Oder ist es die dem Menschen innewohnende Möglichkeit zur Grausamkeit, die sich nur in seiner Umwelt spiegelt, sie mit der Gewalt infiziert?
Stationendrama über den Hass gegen das Fremde
Václav Marhoul entwirft für jede neue Station, in der das namenlose Kind von jemandem aufgenommen wird, ein Kapitel, das in tableauhafter Form vom Hass gegen das Fremde und die Verletzlichkeit erzählt. Im besten Fall wird der Junge zur Zwangsarbeit auf dem Hof verurteilt. Doch kommt im Laufe der Geschichte immer mehr an Misshandlung dazu, Herabsetzungen, rituelle Züchtigungen, sexueller Missbrauch, sogar Folter.
Die Täter sind nicht die Soldaten der beiden Armeen, die sich auf fremdem Boden gegenseitig bekriegen, sondern Dorfbewohner, alleinstehende Frauen, Kirchengänger. Immer wieder sieht man christliche Ikonen am Wegesrand stehen und die verhärmten Gesichter des gemeinen Volkes, das beim Anblick des jüdischen Kindes mit hektischen Bekreuzigungen reagiert.
Die Grobheit dieser Menschen richtet sich jedoch auch gegeneinander. In einer der brutalsten Szenen ist es ein von Udo Kier gespielter älterer Müller, der nach dem Liebesspiel zweier Hauskatzen von Eifersucht überwältigt den vermeintlichen Liebhaber seiner Frau mit einem Löffel blendet.
Grafische stilisierte Gewalt
Die gezeigte Gewalt rutscht in ihrer Explizitheit dabei nie in Dimensionen eines Genrefilms ab, sondern stilisiert sie mit großer Umsicht grafisch, wie eine Zeichnung von Francisco Goya. Diese bemerkenswerte Gestaltung in Schwarz-weiß-Bildern lässt den Schock und die Abscheu zu einem Moment ethischer Reflexion werden, ähnlich wie bei Goya als künstlerisches Nachdenken über die Abgründe menschlichen Handelns.
Eine noch größere Herausforderung an die Inszenierung stellte jedoch die Erzählperspektive dar. „The Painted Bird“ ist als Roman aus der Sicht eines Ich-Erzählers geschrieben, der mit ebenso genauen wie poetischen Beschreibungen Bilder einer entmenschlichten Gesellschaft zeichnet. Er ist angelegt wie der berühmte Vorläufer des Schelmenromans, „Lazarillo de Tormes“, der erstmals in der europäischen Literatur aus ungewohnt subjektiver Perspektive die Leidensgeschichte eines Dienstburschen unter seinen wechselnden Herren schilderte und dabei auch Drastisches zum Ausdruck brachte. Jerzy Kosinski variiert diese Form in seinem Roman, nicht nur um den Zivilisationsbruch des Holocaust zu schildern, sondern auch den des seit Jahrhunderten grassierenden Antisemitismus, der Teil der europäischen Gewaltgeschichte ist.
Elegische Landschaften
Die filmische Adaption gelingt eine Übersetzung des sprachlichen Zeugnisses in kinematografische Blickkonstellationen, die das namenlose und verstummte Kind zu einem Stellvertreter der Zuschauer machen und sie gemahnen, mit ihm gemeinsam zu sehen. In den ebenso schönen wie elegischen Panoramen, die den Film immer wieder aus der Intimität der Gewalt herauslösen, wird wiederum die Einsamkeit und Verlorenheit des Jungen auf eindringliche Weise deutlich.
„The Painted Bird“ gelingt die Gratwanderung zwischen dem ethischen Anspruch seines Anliegens und dessen drastischer Stilisierung auf einer Weise, die der Romanvorlage nicht nur gerecht wird, sondern aus ihr ein eigenes, neues Kunstwerk schafft.