Filmplakat von The Human Voice

The Human Voice

30 min | Drama | FSK 12
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Eine Frau beobachtet, wie die Zeit vergeht - neben den gepackten Koffern ihres Ex-Geliebten (der sie abholen soll, aber nie erscheint) und einem rastlosen Hund, der nicht versteht, dass sein Herrchen ihn verlassen hat. Zwei Lebewesen, konfrontiert mit dem Verlassenwerden. Es folgen drei Tage vergeblichen Wartens, in denen die Frau nur einmal das Haus verlässt, um eine Axt und einen Kanister Benzin zu kaufen. Ihre Stimmung schwingt von Hilflosigkeit über Verzweiflung bis zum Kontrollverlust. In einem Moment perfekt angezogen, als würde die nächste Party warten, überlegt sie kurz darauf, sich vom Balkon zu stürzen. Als ihr Ex-Geliebter endlich anruft, liegt sie nach einem Medikamentencocktail bewusstlos auf dem Bett. Der Hund leckt ihr das Gesicht, bis sie wieder aufwacht. Nach einer kalten Dusche, belebt durch einen Kaffee, der so schwarz ist wie ihr Gemütszustand, klingelt das Telefon erneut, und dieses Mal kann sie abheben. Die menschliche Stimme, die wir hören ist die Stimme der Frau, die Stimme ihres Liebhabers hören wir nie. Anfangs ist sie noch gefasst und ruhig, doch immer kurz davor, angesichts der Heuchelei und Gemeinheit des Mannes zu explodieren. THE HUMAN VOICE ist eine moralische Lektion über das Begehren, auch wenn die Protagonistin hier am Rande des Abgrundes steht. Wer sich auf die Abenteuer des Lebens und Liebens einlässt, setzt sich zwangsläufig diesem Risiko aus. Der Schmerz ist in ihrem Monolog ständig spürbar. Es bleibt die Orientierungslosigkeit und die Verzweiflung zweier verlassener Lebewesen. Pedro Almodóvar Pedro Almodóvars (Parallele Mütter, Leid und Herrlichkeit) 30-minütiger Kurzfilm THE HUMAN VOICE basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von Jean Cocteau und ist zugleich das erste englischsprachige Werk des Regisseurs. Hauptdarstellerin Tilda Swinton (A Bigger Splash, Orlando), beeindruckt in der Hauptrolle der namenlosen Frau, der "menschlichen Stimme", die mit einem eindringlichen Monolog ein Gefühl des Schmerzes, der Einsamkeit und der Leere vermittelt. Die Adaption gleicht einem Experiment, einer Symbiose des Filmischen, des Theatralischen und der dahinterliegenden materiellen Realität des Fiktiven - und Almodóvar beweist dabei einmal mehr sein großes Gespür für formelle und bildliche Kompositionen. THE HUMAN VOICE wurde produziert von El Deseo, die 1985 von Pedro und seinem Bruder Agustín Almodóvar gegründet wurde. Seine Weltpremiere feierte der Kurzfilm am 3. September 2020 bei den 77. Internationalen Filmfestspielen von Venedig. Quelle: studiocanal.de"

Filmkritik

Tilda Swinton trägt rot. Jenes strahlende und volle Rot, das es überall gibt, aber das eben doch unverkennbar zu Pedro Almodóvar gehört. Das ist die Farbe ihres Strickkleids, in das sie sich kleidet, nur für sich, allein zu Hause. Es ist ein auf Hochglanz poliertes Heim, zusammengestellt aus 1960er-/1970er-Dekor. Eine von vorne bis hinten exakt durchdesignte Leere.

Mit dem nagelneuen Beil

Die von Swinton gespielte Frau ist alleine. Nur der „Dash“ genannte Hund leistet ihr Gesellschaft. Sie ist dabei aber immer auf der Suche, nach demjenigen, der hier abwesend ist. Es ist der Ex. Vier Jahre hat sie mit ihm verbracht. Nun wartet sie auf ihn. Seine Sachen stehen gut sortiert im Zimmer, ein Anzug liegt ausgebreitet auf dem Bett. Doch der Verflossene taucht nicht auf. Das schürt die Wut.

Mit dem nagelneuen, gerade gekauften Beil drischt sie auf den Anzug ein. Es folgt die Verzweiflung. In ihrem schönen Strickkleid schluckt die Frau in Rot einen Cocktail aus Schmerzmitteln, spült ihn mit Wein hinunter und legt sich zum ausgebreiteten Anzug aufs Bett. Der ewige Schlaf aber reicht nur bis zum Klingeln des Telefons. Der Abwesende ist dran. Seine Stimme hört man nicht. Die angedeuteten Fragen sind nur Stichworte für den melodramatisch-theatralen Auftritt, den Tilda Swinton in dem Gespräch vorführt.

Nie entsteht der Eindruck, dass hier eine tatsächliche Beziehung verhandelt würde. Der Raum, den die mittellange Filmadaption des Jean-Cocteau-Stücks „La voix humaine“ eröffnet, ist durch und durch künstlich. Tilda Swinton spricht als Figur mit dem ehemaligen Liebhaber und zugleich auf der Meta-Ebene, die nicht nur ihr eigenes Star- und Schauspielerinnen-Dasein reflektiert, sondern auch die Beziehung selbst. Nicht umsonst kommt die Verlassene nicht los von den Phasen der Bewältigung, die jeder und jede auf die eine oder andere Art durchmacht.

Die Lust der Aggression

Die Kamera gibt das auf ganz eigene Art Preis, als sie in der Mitte von „The Human Voice“ in Richtung der Decke abhebt und das überstylte Dekor als Theaterset enthüllt: die Bühne, auf der die verlassene Frau gezwungen ist, das Trennungsdrama durchzuspielen. Natürlich kann auch Swinton als Verlassene nicht gegen diese Rolle anspielen. Aber sie kann die Bühne niederbrennen. Das tut sie mit Wonne.

Erschienen auf filmdienst.deThe Human VoiceVon: Karsten Munt (15.3.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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