- ProduktionsländerVereinigte Staaten
- Produktionsjahr2014
- Dauer122 Minuten
- GenreDramaHistorical
- Cast
- AltersfreigabeFSK 16
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Wie lange mag es dauern, bis sich eine Landschaft in das Gesicht seiner Bewohnerin eingekerbt hat? Wie lange, bis sie sich von der gefurchten Stirn ins Innerste gefressen hat? Dorthin, wo selbst eine gottesfürchtige Existenz wie die von Mary Bee Cuddy ins Wanken kommt? Im Wilden Westen der 1850er-Jahre sucht die ehemalige Lehrerin aus New York ihr Glück als Farmerin. Dass sie viele Hektar Grund und Zuchttiere, aber keinen Mann besitzt, mit dem sie Mühen und Erfolg teilen könnte, das macht Mary Bee unabhängig, stolz – und kreuzunglücklich. Nicht mehr ganz jung, ist ihr durchaus bewusst, dass Männer sie als „schroff“ und „herrisch“ empfinden, auch jene beiden, denen sie im Laufe des Films ziemlich unromantisch sehr rationale Heiratsanträge macht. Mary Bee ist nicht „Rosalie, die Prärieblume“, von der sie einmal singt und dabei liebevoll die dünnen Finger über den Streifen Stoff mit der aufgenähten Klaviatur gleiten lässt. Vielmehr ist sie schon verwelkt, bevor sie richtig ins Blühen kam – eine Distel, die jedem Sandsturm im Leben zu trotzen vermag, auch wenn sich dieser als Wind des Wahnsinns entpuppt. Der trifft die kleine Farmerwelt in Nebraska, als gleich drei Frauen plötzlich verrückt werden. Mary Bee will die Ehefrauen, eingesperrt in einem kleinen Holzwagen, zurück ins östlich gelegene Iowa bringen. Dabei soll ihr ein Mann helfen, den sie vor dem Tod am Strang bewahrt: George Briggs, ein fahnenflüchtiger Kavallerie-Offizier, der für eine Handvoll Dollar sehr viel tun würde, dessen Loyalität aber ungewiss ist. Warum die unglücklichen Frauen wahnsinnig wurden, wird lediglich angedeutet, das Resultat, teils in Rückblenden, aber umso drastischer bebildert: Da wankt eine der Frauen, ihr Baby an sich gedrückt, zum Toilettenhäuschen, öffnet die Tür und wirft den Säugling in die Grube. Die andere sticht sich mit einer Stricknadel in den Körper, verbrennt sich über offener Flamme die Hand, bevor sie darangeht, ihren Ehemann zu attackieren. Dass der Winter lang und hart war, wird mantraartig wiederholt. Vielleicht auch, um das Versagen der Männer nicht erklären zu müssen, die ihre Ehefrauen stillschweigend zerbrechen ließen. Männliche Gewalt, auch sexuelle, wird mehrfach thematisiert, ebenso wie die Grausamkeit der Natur, die den Müttern die Kinder und den Männern die Rinder nimmt. Tommy Lee Jones inszeniert nach seinem verschachtelten Neo-Western „Three Burials – Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada“ (fd 38 426) erneut eine raue, schweigsame Männerwelt. Mit Ehemännern, die sich völlig überfordert ihrer Pflicht entziehen, und Frauen, die sich und ihren Geschlechtsgenossinnen nichts zutrauen, selbst wenn sie, wie Mary Bee, so viel Mut und Verantwortung an den Tag legen. Gespielt wird Mary Bee von der erneut großartig burschikos auftretenden Hilary Swank, deren Frauenfiguren in „Boys Donʼt Cry“ (fd 34 086) oder dem Boxerdrama „Million Dollar Baby“ (fd 36 951) bereits an Geschlechtergrenzen kratzten. Die Männer, die Tommy Lee Jones hier nach der Romanvorlage von Glendon Swarthout auflaufen lässt, eignen sich allerdings nicht einmal als Gegner, und noch weniger als wirkliche Gefährten. Dementsprechend wirkt der unvermittelte Perspektivwechsel in der Mitte des Films, der Briggs ins Zentrum rückt, auch wie ein Schock. Zumal sich zuvor die Geschichte einer starken Frau entwickelte, wie sie im Western fast nie und in anderen Genres zu selten etabliert wird. Jones lässt nach diesem Einbruch die Zügel seiner bis dahin so dichten Inszenierung locker, als sei der neue Fokus auf den von ihm gespielten Briggs und der Regiestuhl zu viel gewesen. Das unterscheidet „The Homesman“ von ihre Spannung haltenden Filmen, wie sie Clint Eastwood, aber auch Jones selbst schon mit seinem Debüt inszeniert hat. Andererseits entspricht dieses „Hängengelassenwerden“ auch einer Realität ohne mutige Frauen wie Mary Bee – einer Welt, in der der Manager eines leerstehenden Hotels dem hilfesuchenden Treck die Unterkunft versagt, weil er eine Gruppe Investoren erwartet; und im rachsüchtigen Gegenzug das Hotel niedergebrannt bekommt. Nicht nur in dieser Hotel-Szene betreibt Tommy Lee Jones seine höchst unromantische und doch von absurden Szenarien durchzogene Inszenierung eines Wilden Westens, der auf Überleben, Gewinnmaximierung und das Recht des Stärkeren zielt. Durch dieses Land, in dem Indianer, Kälte und Verirren drohen, reist seine „Gewehrheldin“ mit drei Verrückten und einem Mann im Schlepptau, der ebenfalls nicht ganz bei Trost zu sein scheint. Ausgerechnet in der Szene, in der Briggs gegen Ende auf einem Fährboot unvermittelt zu singen und zu tanzen beginnt, als wenn er einer wahnwitzigen Besiedlung den eigenen Wahn entgegensetzen will, wird „The Homesman“ zum Denkmal für all die Frauen, die dem Wilden Westen als Pionierinnen trotzten. Manche von ihnen wurden verrückt, manche blieben einsam – irgendwie verloren und vergessen scheinen sie alle zu sein.