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Filmkritik
Nach dem Tod seines Vaters stehen Eddie (Theo James) gleich zwei Überraschungen bevor. Als UN-Offizier an der türkisch-syrischen Grenze versucht der Sohn aus adeligem Haus, größtmöglichen Abstand zum Herzogtum seiner Familie in England zu wahren. Doch obwohl er nicht der Erstgeborene ist, wird ihm testamentarisch der Adelstitel und das Schloss mit seinem großzügigen Anwesen vermacht. Das führt nach Eddies Rückkehr zur zweiten Wendung, denn ein Drogen-Syndikat betreibt auf dem Grundstück eine Marihuana-Plantage. Ein Deal, den der Verstorbene eingefädelt hat.
Proleten-Gangster & blaublütige Adelige
In Guy Ritchies Gangsterkomödie „The Gentlemen“ aus dem Jahr 2019 machte ein aufstrebender Drogenbaron mit mehreren Aristokraten ähnliche Geschäfte. Für das Syndikat war dabei nicht nur die enorme Größe des Anwesens von Vorteil, sondern auch der Umstand, dass hier niemand solche zwielichtigen Umtriebe erwarten würde. Die Adeligen wiederum profitierten finanziell von dieser Kooperation, ohne viel dafür tun zu müssen. Im Film konzentriert sich Guy Ritchie fast ausschließlich auf die Kriminellen sowie auf einen Drogenmarkt, in dem jeder nach knallharter Überlegenheit strebt und es viele Intrigen gibt. Die gleichnamige Serie „The Gentlemen“, bei der Guy Ritchie als Creator, ausführender Produzent und Regisseur der ersten beiden Folgen mit an Bord ist, unternimmt jedoch einen Perspektivwechsel.
Der Schwerpunkt verlagert sich nun auf die Adeligen, die sich ihrer anrüchigen Geschäftspartner entledigen wollen. Es kommt zum Clash unterschiedlicher Milieus, der auch auf dem Soundtrack Spuren hinterlässt, wenn sich sakrale Klassik mit der britischen Rap-Spielart Grime abwechselt. Der komische Kontrast zwischen den brutalen Drohungen der proletarischen Gangster und dem distinguierten Entsetzen der Adeligen erweist sich dabei als konstitutives Element der Serie.
Eddie ist in beiden Welten ein Grenzgänger: offiziell zwar ein Aristokrat, aber eben auch bodenständig und als Soldat im Nahkampf geübt. Mit Susie (Kaya Scodelario), der Geschäftsführerin der Plantage und Tochter des inhaftierten Drogenbosses Bobby Glass (Ray Winstone), muss er sich fortan arrangieren. Zum Leitmotiv der Serie wird Eddies Absicht, diese Arbeitsbeziehung möglichst schnell zu beenden, was allerdings an der fehlenden Kooperationsbereitschaft der Glass-Familie scheitert.
Die Brutalität von „The Gospel“
Zum ersten Disput zwischen dem frisch gebackenen Herzog und der Gangster-Geschäftsfrau kommt es, nachdem sich Eddies geldgieriger und meist zugekokster Bruder Freddy (Daniel Ings) haushoch bei dem nicht gerade zimperlichen Syndikat „The Gospel“ verschuldet. Dessen Markenzeichnen ist nicht nur Gottesfurcht, sondern auch eine ausufernde Brutalität. Als eine demütigende Wiedergutmachung eskaliert, muss ein jugendlicher Zeuge zum Schweigen gebracht werden. Eddie will ihm die Flucht ermöglichen, doch für Susie steht außer Frage, dass der Junge sterben muss.
Im Kinofilm bezeichnet die Hauptfigur den Drogenmarkt einmal als Dschungel, in dem man nur überleben kann, wenn man weiß, dass es nicht reicht, den König nur zu spielen; man muss vielmehr der König sein. Im Film entfesselt Guy Ritchie dementsprechend eine prahlerische, aggressiv-zerstörerische Männlichkeit. Wer regieren will, darf sich nicht den kleinsten Anflug von Schwäche leisten. Nur wenn die Angst vor brutalen Konsequenzen ständig in der Luft liegt, kann eine solche Herrschaft funktionieren.
Die acht Episoden der Serie knüpfen mit vertrauten Motiven wie einem hinterhältigen Gift, bekannten Schauplätzen wie einem Amateur-Boxclub oder Slow-Motion-Exzessen zwar an den Film an, lassen dafür aber dessen ruppige Authentizität hinter sich. Am deutlichsten zeigt sich das an der Figur von Susie, die mit ausdrucksloser Miene und trockenem Sarkasmus ihren Einfluss spielen lässt. Von ihrer rauen Herkunft und kaltblütigen Entschlossenheit ist dagegen kaum etwas zu spüren. An ihrer Autorität zweifelt man, als dem Cannabis-Farmer Jimmy (Michael Vu), einem ebenso liebenswürdigen wie verplanten Kiffer, trotz mehrerer gravierender Fehltritte kein Haar gekrümmt wird.
Die Serie besitzt ihre Qualitäten
Auch wenn Netflix nur der Auftraggeber, nicht aber der Produzent der Serie ist, trägt „The Gentlemen“ in weiten Teilen eher die Handschrift des Streaming-Unternehmens als die von Guy Ritchie. Das Anstößige aus dem Film wurde weitgehend eliminiert, der Look ist aufwändig, aber auch ein wenig glatt, und die Handlung hat mitunter einen leicht sentimentalen Einschlag. Vor allem sind Eddie und Susie keine Gegenspieler, sondern ein ungleiches, manchmal etwas zu putziges Paar, das seine Unstimmigkeiten meist schnell beseitigt.
Nimmt man in Kauf, dass die Welt von „The Gentlemen“ in sich nicht immer stimmig ist, besitzt die Serie aber auch Qualitäten. Der Erzählton wirkt locker und verspielt und ist mit rhetorischen Spitzen und ironischem Witz garniert. Oft geht es darum, Verbündete zu finden und Maulwürfe zu enttarnen. Während zum Auftakt und zum Abschluss auch mal episodenübergreifend erzählt sowie die Hintertür für eine Fortsetzung offengelassen wird, stehen die mittleren Folgen für sich und funktionieren nach einem ähnlichen Schema: Eddie und Susie wollen ein Problem bewältigen, das durch unvorhergesehene Ereignisse immer verzwickter wird. Mal müssen sie kompromittierende Beweise beseitigen, mal Geld waschen oder einen Lamborghini stehlen.
Besonders die extravaganten Nebenfiguren erweisen sich dabei als Befreiungsschlag gegenüber dem dramaturgischen Rahmen. Bevor Eddies Bruder Freddy zunehmend zum zahmen Sidekick wird, darf er in den ersten Folgen noch ein unberechenbares Scheusal spielen, das die ganze Familie ins Verderben zu stürzen droht. Ein lebhafter Kontrast zu Eddie, der zwar den nötigen Charme mitbringt, mit seiner gelangweilten Coolness auf Dauer aber auch ein wenig eintönig wirkt.
Ausschweifend wird „The Gentlemen“ somit überwiegend wegen überkandidelter Widersacher wie einer die Machete schwingenden Drogenbaronin, einem affektiert-schnöseligen Grenzbeamten oder dem US-Aristokraten Stanley Johnston (Giancarlo Esposito), der mit guten Manieren und großzügigen Geschenken seine wahren Beweggründe verschleiert. Dieser Johnston wird für Eddie und Susie zum finalen Gegner, auch weil er jene Kaltblütigkeit mitbringt, die man braucht, um sich auf diesem hart umkämpften Markt behaupten zu können.