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Filmkritik
Colt Seavers (Ryan Gosling) ist Stuntman für den blasierten Starschauspieler Tom Ryder (Aaron Taylor-Johnson). Eine rasante Montage seines Arbeitsalltags lässt Colts Körper immer wieder über den Boden schleifen und durch die Luft schleudern, bevor er mit einem dumpfen Knall irgendwo aufprallt. Der affektierte Widerling Ryder mokiert unterdessen, dass der „Kartoffelkopf“ seines Doubles immer noch zu präsent im Bild sei.
Scheinbar hat man es hier mit einem ewigen Schattenmann und Prügelknaben zu tun. Doch die Actionkomödie „The Fall Guy“ entdeckt in der Demut eine Tugend und rückt Colt ihrerseits ins Rampenlicht. Fasziniert umkreist die Kamera den unverwüstlichen Stuntman und setzt ihn als Naturgewalt und emotionales Zentrum des Films in Szene. Dem Hauptdarsteller Ryan Gosling gelingt es in dieser, seinem Ken aus „Barbie“ gar nicht so unähnlichen Rolle, das furchtlose Draufgängertum mit einnehmender Bescheidenheit und softem Welpenblick zu erden. Colt will einfach nur einen guten Job machen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass am Ende andere dafür die Lorbeeren einheimsen.
„The Fall Guy“ beginnt also mit einem paradiesischen Zustand. Die waghalsigen Aktionen am Set sind für den Stuntman keine Belastung, sondern das pure Glück, das durch Flirts mit der Kameraassistentin Jody (Emily Blunt) vollkommen wird. Dabei lässt das gegenseitige Versprechen, sich den Feierabend mit scharfen Margaritas und unvernünftigen Entscheidungen zu versüßen, ihre gegenseitige Zuneigung unverbindlicher wirken, als sie tatsächlich ist.
Aus einer anderen Zeit
Als nach einem Unfall nicht nur Colts Karriere, sondern auch seine Beziehung zu Jody jäh beendet wird, muss das Glück mühsam zurückerobert werden. Ein Jahr ist vergangen und Jody mittlerweile Regisseurin. Sie dreht einen Western in Australien und ist immer noch sauer, dass sich ihr einstiger Trinkpartner nicht mehr gemeldet hat. Als Colt am Set erscheint, ist sie deshalb wenig begeistert. Während er versucht, noch einmal ihr Herz zu erobern, muss er auch noch den in kriminelle Machenschaften verstrickten Ryder finden.
Nach dem Zeitsprung des nur sehr lose auf der 1980er-Jahre-Krimiserie „Ein Colt für alle Fälle“ basierenden Films wird aber noch offensichtlicher als zuvor, dass Colt aus einer längst vergangenen Ära stammt. Noch immer trägt er die „Miami Vice“-Jacke von seinem ersten Job und ist auch sonst mit allen popkulturellen Wassern der 1980er- und 1990er-Jahre gewaschen. Als seine Erkennungsmusik werden im Soundtrack regelmäßig opulent energetische, vor Abenteuerlust nur so strotzende Rock-Hymnen von „Kiss“, „AC/DC“ und „The Darkness“ angestimmt.
Colts Retro-Charme ist für „The Fall Guy“ wichtig, weil sich der Stuntman mit einer Filmindustrie im Wandel konfrontiert sieht. Während er selbst Individualität und Handarbeit verkörpert, beginnt man am Set bereits Gesichter mit künstlicher Intelligenz zu ersetzen und Stunts durch digitale Effekte. Die Arbeit der Stuntleute, der im Abspann ausführlich gehuldigt wird, steht hier für unbesungene Helden des Kinos, aber auch für eine nostalgische Vorstellung von Authentizität, die in der Handlung mit Schweiß und Tränen gegen den Verlust des Echten verteidigt wird.
Das lustvolle Spiel mit Fiktionen
Noch entschiedener ist „The Fall Guy“ jedoch von einem lustvollen Spiel mit Fiktionen geprägt. Als Jody Colt vor versammeltem Drehteam vorwirft, sie sitzen gelassen zu haben, verklausuliert sie ihre Anklage, indem sie vermeintlich über die Figuren des Films spricht. Auch sonst steckt der Film voller Vexierbilder und filmischer Referenzen, die nicht bloßer Zierrat sind, sondern von Regisseur David Leitch mit ungezügeltem Spieltrieb in szenische Attraktionen übertragen werden. Wenn sich etwa Waffen als Requisiten erweisen, dient das vor allem dazu, dem Machtverhältnis innerhalb einer Actionszene einen Twist zu verleihen. Und als ein Dealer von seiner Vorliebe für Animationsfilme berichtet, findet sich der plötzlich unfreiwillig berauschte Colt in einer funkensprühenden Keilerei wieder, die selbst einem Comic gleicht.
Die fragile Zwischenwelt aus Fantasie und Wirklichkeit bildet den Rahmen für ein aufgedonnertes, mit markigen Sprüchen garniertes Leinwandspektakel, das ganz vom Spaß diktiert wird. In ausufernden Actionszenen muss sich Colt, der im Gefecht berufsbedingt eher ausweicht als zuschlägt, mit akrobatischem Geschick auf Motorbooten behaupten, sich in rasant herumwirbelnden Müllcontainern prügeln oder um einen Hubschrauber herumturnen. Mit erfundenen Parfum-Werbungen und Nebenfiguren wie der so überkandidelten wie rhetorisch unbesiegbaren Produzentin Gail (Hannah Waddingham) malt Leitch zudem mit dickem Pinsel eine grelle Hollywood-Satire.
Wenn „The Fall Guy“ sich immer wieder aus dem reichen Fundus der Popkultur bedient, geschieht das meist, weil diese Referenzen einen Gedanken oder ein Gefühl anschaulicher, pointierter und emotional dichter vermitteln. Als sich Jody bei einem Karaoke-Abend ein weiteres Mal von Colt verlassen fühlt, schmettert sie Phil Collins’ Power-Ballade „Against All Odds“, die zwischen dem Schmerz des Verlassenseins und der Hoffnung auf Versöhnung schwankt. In der Fiktion deckt der Film Wahrheit auf. Es ist deshalb kein Zufall, dass ein entscheidendes Geständnis erzwungen wird, während gerade eine Filmszene gedreht wird.
„I Was Made For Loving You“
Die Spannungen zwischen Colt und Jody lassen sich oft darauf zurückführen, dass Leitch ihre Beziehung als Action inszeniert. Stets geht es dabei um ein Kräfteringen und Ausweichen, oder darum, die eigene Verletzlichkeit zu leugnen, was selten gelingt. Nur manchmal leidet die von Emily Blunt taff gespielte Jody darunter, dass der durch sein sensibles Gemüt dann doch wieder recht moderne Colt auch emotional die interessantere Figur ist. Doch solche Mängel weiß „The Fall Guy“ mit schweren Geschützen zu kaschieren. Wenn die beiden sich vor mächtiger Wüstenkulisse in die Arme fallen und dazu die Windmaschine angeworfen und der „Kiss“-Song „I Was Made For Loving You“ aufgedreht wird, löst sich alles in einem opernhaften Exzess auf.