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Filmplakat von The Fall

The Fall

117 min | Thriller, Mystery
Szene %1 aus %The Fall
Um die Angst zu überwinden, seinen kranken und alternden Großvater zu verlieren, muss ein forensischer Fotograf die Wahrheit hinter dem mutmaßlichen Selbstmord eines älteren Mannes entdecken.

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Filmkritik

Schimmerndes Wasser, aus dem der Kopf eines Mannes auftaucht, die ausholende Geste eines winkenden Arms, eine Dampflok auf einer Eisenbahnbrücke, deren Schatten sich im Fluss darunter abzeichnet, ein Pferd, das an einer Seilwinde aus den Fluten gehoben wird. Schon die Titelsequenz, die sich zu den Klängen von Beethovens siebter Sinfonie in Schwarz-weiß und Slow Motion als traumartig-zusammenhanglose Bildfolge darbietet, macht es deutlich: Die Filmwelten, die Regisseur Tarsem Singh in „The Fall“ entfaltet, sind von ausgesuchter surrealer Schönheit – ähnlich wie seine Raumfantasien in „The Cell“ (fd 34568). Einmal mehr ergänzen sich die weiten Wüsten, die fantasievollen, prachtvollen Kostüme und die raffinierten Gebäude zu eindrucksvollen Seelenlandschaften.

Diesmal allerdings gewähren sie nicht Einblick in das Innere eines Mörderhirns, sondern entführen in das Märchenreich einer Geschichte, die der querschnittsgelähmte Stuntman Roy Walker einem Mädchen namens Alexandria in einem Krankenhaus im Los Angeles der 1920er-Jahre erzählt. Ob das, was der Film visualisiert, die Vorstellungswelt des fabulierenden Mannes ist oder die durch seine Worte heraufbeschworene Fantasie der kleinen Zuhörerin, lässt sich nicht sagen – es scheint, als würden beide den gleichen Tagtraum teilen.

Dass dieser bei aller Schönheit und südlichen Exotik in seiner aufs Sorgfältigste komponierten Ästhetik seltsam kühl und mitunter fast gespenstisch-leblos wirkt, liegt nicht etwa daran, dass der formale Stilwille die Story erdrücken würde, handelt es sich dabei doch nur vordergründig um eine Abenteuer-Mär über einen maskierten Rächer, der mit einer Hand voll mutiger Männer einem Tyrannen den Garaus machen will. Vielmehr verbreiten die Bilder schon früh einen Hauch von jener „Krankheit zum Tode“, die sich schließlich als der zentrale Konflikt des Films offenbart. Roy Walker ist nämlich kein netter Märchenonkel, der das Mädchen mit dem gebrochenen Arm selbstlos unterhält, sondern eine tragische Anti-Scheherazade: Wo die orientalische Heldin das über klug gesetzte Cliffhanger ausgespannte Netz ihrer Erzählungen wob, um sich damit tausend und eine Nacht lang vor dem Henker zu retten, versucht Walker mit demselben Trick, sich eine Möglichkeit zum Selbstmord zu verschaffen.

Seitdem ihn seine Geliebte wegen eines Filmstars sitzen ließ und ein missglückter Stunt, mit dem er seiner Liebsten imponieren wollte, zu seiner Lähmung führte, ist ihm der Lebenswille abhanden gekommen. Indem er Alexandria an sich und seine Geschichte bindet, will er sie soweit manipulieren, dass sie ihm die nötige Dosis Morphium verschafft, um sich damit selbst zu töten. Allerdings hat er nicht einkalkuliert, dass das Mädchen nicht nur passive Zuhörerin ist, sondern seine eigenen Erfahrungen und Wünsche mit einbringt.

Litt der Debütfilm des Werbe- und Videoclip-Regisseurs Singh noch darunter, dass der nicht gerade originelle, kriminalistisch schwachbrüstige Inhalt des Mystery-Thrillers „The Cell“ von der ausgefeilten und beziehungsreichen Bildsprache der surrealen Erzählebene geradezu hinweggefegt wurde, finden hier nun Form und Inhalt glücklich zusammen. Entsprechend ist die Rahmenhandlung diesmal nicht nur ein müder Aufhänger für extravagante visuelle Fantasien, sondern hat ihre eigene innere Dramatik, was nicht zuletzt auch dem Zusammenspiel von Lee Pace und der Laienschauspielerin Catinca Untaru geschuldet ist. Diese entwickeln die Beziehung zweier innerlich und äußerlich verletzter, sonst aber sehr unterschiedlicher, in der schläfrigen Öde des Krankenhauses aber aufeinander angewiesener Menschen zunächst spielerisch, später immer spannungsvoller.

Suggestiv schafft Singh dabei so etwas wie eine „Zauberberg“-Atmosphäre: Die Zeit scheint still zu stehen in dem kleinen Krankenhaus, das die Kamera zusammen mit Alexandria durchstreift; die Tage gleichen einander, und auch Walkers Erzählung mit ihren logischen Brüchen und Verschiebungen bewegt sich lange seltsam ziellos, ohne wirklich von der Stelle zu kommen, weshalb eine Szene mit den Treppenlandschaften eines M.C. Escher nur konsequent ist. Sowohl die reale als auch die surreale Erzählebene flirren im Sonnenlicht Kaliforniens wie in der exotischen Traumwelt gleichsam zwischen Leben und Tod, bis schließlich der Mann und das Mädchen in einem umso dramatischeren Finale darum ringen, in welche der beiden Richtungen es in der Geschichte, aber auch im echten Leben gehen soll.

Wer sich von „The Fall“ nur ein weiteres bildgewaltiges Fantasy-Epos erhofft, dürfte angesichts der erzählerischen Ruhe, mit der sich dieses Zwischenreich entfaltet, der konsequenten Vermeidung genretypischer Action und des an Seitenblicken reichen Mäanderns der Geschichte enttäuscht sein. Nichtsdestotrotz ist „The Fall“ alles andere als langweilig: Elegant balanciert er an den Grenzen von klassischem Erzählkino und Videokunst, um ebenso berührend wie visuell betörend der ambivalenten Kraft der menschlichen Fantasie nachzuspüren. Deren das wirkliche Leben transzendierender Impuls mag sich zwar bisweilen auch mit dem Todestrieb verbünden, doch aus den Möglichkeitswelten lassen sich, wie einst für Scheherazade, ebenso Heilmittel, Handlungsalternativen und neue Hoffnungen schöpfen.

Erschienen auf filmdienst.deThe FallVon: Felicitas Kleiner (27.8.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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