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Filmkritik
Kein Mensch ist in der Nähe. Line (Lyna Khoudri) bräunt sich allein und nackt in den Dünen der nordfranzösischen Provinz. Hier ist sie Mensch, hier darf sie es sein. Es sind die gleichen Dünen der Opalküste, in denen Bruno Dumont schon die Geschichte der Jeanne D’Arc entmythologisierte („Jeannette - Die Kindheit der Jeanne d'Arc“ und „Jeanne d'Arc“) und die Adelsgesellschaft vornüberkippen ließ („Die feine Gesellschaft“).
Davon ist in „The Empire“ zunächst nichts zu sehen. Line beendet das Sonnenbad und trottet gelangweilt in das kleine Fischerdorf zurück. Ihre Wege kreuzen sich mit denen des Fischers Jony (Brandon Vlieghe). Man grüßt sich, wirft einander ein paar Frotzeleien an den Kopf und geht wieder getrennter Wege. Provinzalltag. Nur die Verbeugungen, die Line bald vor Jony und Jony vor dem eigenen Sohn macht, deuten in ihrer ausladenden Albernheit an, dass man in der Provinz vielleicht doch mehr ist als einfach nur Mensch, und dass Bruno Dumont wieder einmal mehr vorhat, als ein Drama auf dem Dorf zu inszenieren.
Das große Ganze & das ganz Kleine
Tatsächlich dauert es nicht lang, bis „The Empire“ sich endgültig der Absurdität hingibt und man dem jungen Rudy (Julien Manier), dem neuen Freund von Jonys Ex-Frau, dabei zusieht, wie der ein Lichtschwert zieht, die Frau enthauptet und das Baby entführen will. Er ist nicht etwa ein Krimineller, sondern wie Line und Jony Teil eines intergalaktischen Krieges, der auf dem Dorf ausgefochten wird.
Zwei Fraktionen, die „Nuller“ und die „Einser“, kämpfen um das Schicksal der Menschheit. Jonys Baby, das „Margat“ genannt wird, soll wie ein kosmischer Antichrist die Apokalypse bringen. Doch weder das blond-lächelnde Baby noch Jony, sein dämonischer Vater, wirken so mächtig und furchteinflößend, wie es ihre Gegenspielerin Jane (Anamaria Vartolomei), die Abgesandte der gütigen Einser, beschreibt. Der kosmische Krieg in der Provinz ist zunächst genauso albern wie die Lichtschwerter-Fuchteleien, die die Einser im Vorgarten üben.
Mit den Sternenwelten, die die Protagonist:innen aufsuchen, kommt das eigentlich zur Space-Opera gehörige Bildrepertoire hinzu. Die Nuller durchqueren das Weltall als schwarze Masse in einem Versailles-artigen Palastraumschiff, das nur Böses im Schilde führt. Die Einser auf der anderen Seite fliegen als geisterhafte Engelskörper in ihrem Quasi-Notre-Dame-Kathedralen-Mutterschiff und versuchen sich an Güte & Co.
Sakral und erhaben ist das, was im All schwebt, winzig und profan das, was im Fischerdorf passiert. Das große Ganze passt nicht ins ganz Kleine. Dumont presst es trotzdem munter rein.
So fängt der böse Lord Belzébuth (Fabrice Luchini), nachdem er einen Menschenkörper erhalten hat, an, im Mutterschiff zu den Klängen seiner Jazzband Pirouetten zu drehen oder starrt den „Tänzerinnen“ auf den Hintern, deren Körper nur aus einem langen Paar Beine besteht, die das Gesäß in die Höhe recken. Die gottgleiche Anführerin der Einser tauscht ihren Astralleib ebenfalls ein, um in den Körper der Bürgermeisterin Deroo (Camille Cottin) zu schlüpfen. Auf der Erde lässt sie sich dann von der Apokalypse berichten, während die Frauen aus dem Dorf sich dazwischendrängen, um von Einkäufen und dem kaputten Thermostat zu erzählen.
Eins und Null und der menschliche Körper
„The Empire“ ist um das Aufeinandertreffen von Provinz und Kosmos, Stars und Laiendarsteller:innen, Normschönheiten und Fremdkörper, Sternenkriegern und Dorfgendarmen herum gebaut. Dumont lässt Schwarz gegen Weiß, Gut gegen Böse und Null gegen Eins kämpfen mit dem Wissen, dass nichts davon Bestand hat, besonders nicht hier, wo ein paar Dünen aus dem Grasland ragen und ein paar Menschen versuchen, sich mit schmerzenden Knien zum Einkaufen zu schleppen und Hilfe bei Reparatur der Heizregler zu finden. Null und Eins sind dort keine feste Größe mehr, wo sie menschliche Formen annehmen.
Tatsächlich ist der eine Fluchtpunkt, auf den der Film zusteuert, das einfache Miteinander. Jane, die Verteidigerin der Erde, und Jony, der Prinz des Bösen, sind diejenigen, die trotz ihrer quasi per Naturgesetz gegebenen Feindschaft doch durch ihre Menschenkörper voneinander angezogen werden, sich ungelenk das Gesicht ablecken, die Zungen ineinander verknoten und spontan auf der Weide Sex haben. Wenn man schon im Körper eines Menschen steckt, warum sich nicht auch dementsprechend benehmen?
Hoffnungslos ineinander verschränkt
So lässt Dumont die Apokalypse anrollen, um ihr mit dem Quatsch aus irdischem Alltag und überweltlichem Machtkampf den Boden unter den Füßen wegzuziehen. In den wohl komischsten Szenen des Films versuchen die Kommissare Van Der Weyden (Bernard Pruvost) und Carpentier (Philippe Jore), dem Ermittlerduo aus „Quakquak und die Nichtmenschen“, ihre Untersuchungen zu starten, während um sie herum die galaktische Schlacht beginnt, Kühe landen und sich Schwarze Löcher auftun.
Nicht jede unter den mal sorgfältig ausgearbeiteten visuellen Ideen, mal fahrig in die Landschaft gestellten Albereien mag Beweis für die Produktivität von Dumonts Wechselspiel sein, aber irgendwie schafft er es auf exakt diese absurde Art und Weise doch, das Kleine neben dem Großen hochzuhalten, das Profane im Sakralen zu finden oder auch einfach nur klarzustellen, dass im Menschsein beides hoffnungslos miteinander verschränkt ist – so albern das auch aussehen mag.