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Filmkritik
Die Snowy Mountains im fernen Outback sind 1893 keine Gegend, in der man seinen Mitmenschen viel Vertrauen schenkt. Diese Erfahrung müssen Nate Clintoff und seine Frau Louisa machen, als sie nach einer langen und beschwerlichen Reise auf dem Hof von Molly Johnson (Leah Purcell) eine Rast einlegen. Die schwangere Frau hält die britischen Eindringlinge lange mit dem Gewehr auf Distanz. Daran, dass sie es benützen könnte, gibt es keinen Zweifel. Sie ist eine resolute und erfahrene Frau, die extremen Nahaufnahmen ihres unbewegten Gesichts bezeugen ihre Entschlossenheit. „I will shoot you where you stand and bury you where you fall“, sagt sie einmal – ein Satz wie ein Peitschenhieb.
Immer wieder muss Louisa die Gesprächsführung übernehmen, weil sich ihr Mann, eigentlich sich der neue Polizeichef des nahegelegenen Dorfes Everton, unglücklich ausdrückt und dadurch Mollys Misstrauen nährt. Mehrere Minuten dauert diese Szene, und man ahnt, dass in dieser einsamen Gegend jeder Fehler bei der Beurteilung eines Fremden tödlich sein kann.
Ein Moment ändert alles
Das ändert später freilich nichts an Mollys Gastfreundschaft. Und als die Clintoffs nach langer Erholungspause weiterfahren, nehmen sie auch Mollys Kinder mit, um sie bei Bekannten in Everton unterzubringen. Denn solange Mollys Ehemann, der schon seit Monaten in den Bergen das Vieh treibt, weg ist, sind die Kinder in Gefahr.
Kaum in Everton angekommen, bekommt es Nate Clintoff mit einem Mordfall zu tun. Ein flüchtiger Aborigine soll eine ganze Familie ausgelöscht haben. Ausgerechnet dieser Aborigine namens Yadaka (Rob Collins) taucht schwer verletzt vor Mollys Tür auf. Gleichzeitig meldet ein Kollege Mollys Ehemann Joe als vermisst.
Eigentlich beruht „The Drover’s Wife“ auf einer Kurzgeschichte, die von dem weißen Australier Henry Lawson (1867-1922) stammt. Doch die indigene Filmemacherin Leah Purcell hat sie zu ihrer Herzensangelegenheit gemacht. Nicht nur, dass sie die Kurzgeschichte für die Bühne adaptierte, in der sie dann die Hauptrolle spielte; sie arbeitete den Text auch zum Roman aus, auf dem dann das Drehbuch für diesen Film ruht. Damit nicht genug: Leah Purcell führte Regie, co-produzierte und übernahm die Titelrolle. Sie gibt Lawsons namenloser Heldin eine Identität, eine Vergangenheit und ein Innenleben.
Aus weiblicher Perspektive
Was ein männlich geprägter Western hätte werden können, ist so ganz aus weiblicher Perspektive erzählt. Die Themen des Films liegen zumindest anfangs offen da. Purcell stellt zunächst den Schutz der Familie und ihren Zusammenhalt vor dem Hintergrund der Erschließung Australiens heraus; darauf verweist schon Mollys oftmals vorgehaltenes Gewehr.
Die Frontier des US-amerikanischen Westerns kommt einem in den Sinn, und wie bei John Ford schwingt auch hier ein mythischer Unterton mit, wenn die Regisseurin den Überlebenskampf der Siedler in einer von der Kamera grandios eingefangenen Wildnis schildert.
Doch mit zunehmender Dauer offenbart sich das Geheimnis der Molly Johnson. Spätestens, wenn sich der Aborigine in ihr Leben drängt, schieben sich Fragen nach ihrer Identität in den Vordergrund. Fragen, die auch die Kultur und Tradition der Ureinwohner Australiens betreffen, und somit quasi als Überbau auch die von Kolonialismus und Ausbeutung berühren.
Während Nate Clintoff versucht, britische Gesetze in einer gesetzlosen Umgebung durchzusetzen, bringt seine emanzipierte und weltoffene Frau Louisa eine feministische Zeitung heraus. Vielleicht ist sie das eigentliche Sprachrohr der engagierten Regisseurin.
Es geht auch ums Geschichtenerzählen
Gender, Missbrauch und Ungerechtigkeit verwebt Leah Purcell geschickt in die Erzählung, in der es auch – das Wort „Legende“ im Filmtitel verweist darauf – um das Geschichtenerzählen geht, um die Weitergabe von Erlebtem an die nächste Generation. Purcell hat der Kurzgeschichte von Henry Lawson aus dem Jahr 1892 ein neues Gesicht gegeben und sie so ins 21. Jahrhundert transportiert.