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Filmkritik
Mitte der 1960er-Jahre, als Experimente mit bewusstseinserweiternden Drogen zu einem Massenphänomen geworden waren, galt Aldous Huxleys Beschreibung eines lang andauernden Mescalin-Selbstexperiments in „Die Pforten der Wahrnehmung“/„The Doors of Perception: Heaven and Hell“ (1954) als Kultbuch. Der Titel inspirierte 1965 eine unbekannte kalifornische Band, deren Mitglieder selbst auf Drogenerfahrungen zurückblickten, zur Namensgebung: die Gruppe „The Doors“, die bald selbst Kultstatus erhalten sollte.
Während die Rockband mit Titeln wie „Light my Fire“, „Soft Parade“ oder dem lakonischen Abgesang „The End“ Erfolge feierten und damit den Protest gegen den Vietnamkrieg musikalisch begleiteten, diente Oliver Stone bei der 25. Infanterie- bzw. 1. Kavallerie-Einheit in Vietnam. Er wurde zweimal verwundet und mit mehreren Auszeichnungen dekoriert. In der Etappe und in den Kampfpausen hörte er unter anderem die Musik von „The Doors“.
Jetzt hat sich Stone mit seinem „Doors“-Film einen lang gehegten Wunsch erfüllt. Der in den USA außerordentlich erfolgreiche Film, der rechtzeitig zum 20. Todestag des charismatischen Leadsängers Jim Morrison (1943-1971) fertig wurde, hat überdies eine Renaissance der Gruppe bewirkt.
Ein diabolischer Gegenentwurf
Dies ist umso erstaunlicher, da Stone fast nichts unversucht lässt, die Pop-Ikone Morrison vom Sockel zu stoßen und ihr einen fast diabolischen Gegenentwurf entgegenzusetzen. Zunächst geht alles den gewohnten Gang. Die vier Musiker raufen sich, unterstützt durch LSD-Trips in der Wüste, musikalisch zusammen. Bald sind die ersten Stücke einstudiert. Man tingelt durch die Clubs, bis Vertreter der Plattenindustrie auf die außergewöhnliche Musik und den schwarzgelockten Morrison aufmerksam werden. Es folgen Plattenaufnahmen und die ersten Verkaufserfolge.
Doch mit dem Erfolg geht ein unaufhörlicher Verfall des Sängers einher. Es scheint, als würde er von Dämonen auf den Abgrund im eigenen Ich zugetrieben. Morrisons Drogenkonsum steigt, die legale Droge Alkohol ist allgegenwärtig, der Sex wird zur Besessenheit, in schwarzen Messen werden die letzten Tabus gebrochen. Morrison lebt die Maxime der Jugend, die nur das Jetzt, das Hier und Heute akzeptiert.
Paradoxerweise ist es aber dieses Wissen um das „partielle Unsterblichkeit“ ist es aber paradoxerweise, das sich in einer Sehnsucht nach dem Tod manifestiert. Beseelt vom Gedanken, der Rockpoet seiner Generation zu sein, der mehr zu sagen hat, als es ein paar Liedzeilen ausdrücken können, legt sich Morrison mit allem und jedem an. Er verletzt die, die ihn aufrichtig lieben, setzt die Existenz der Gruppe aufs Spiel, schockiert die Öffentlichkeit und provoziert die Polizei durch obszöne Gesten.
Im Juli 1971 stirbt Jim Morrison in einem Pariser Hotel im Alter von 27 Jahren an Herzversagen infolge von Drogen- und Alkoholmissbrauch. Die vorletzte Einstellung des Films gilt seinem Grab auf dem Pariser Friedhof Pere Lachaise, das seitdem zur mit Graffiti übersäten Kult- und Gedenkstätte geworden ist und auch heute noch die Verehrer in Scharen anzieht.
Stone, der die kurze Geschichte der „Doors“ auf die spektakulären Auftritte der Gruppe und Ausfälle ihres Leadsängers reduziert, die er wie Perlen an einem Faden aufreiht, erzählt die Geschichte mit den ihm eigenen filmischen Mitteln. Da seine Filme irgendwie immer wie Kriegsfilme aussehen, tobt auch in diesem Musik- und Zeitporträt ständig ein Kampf. Der Schauplatz wandelt sich von einer Minute zur nächsten zum Schlachtfeld der Seele und des Sex, der Poesie und der Ekstase. Die Kamera, mitten im Getümmel postiert, erlaubt keine Distanz und keine Verschnaufpause.
This is the end
Schon der Anfang des Films weist die Richtung. Die Kamera gleitet über Felsen, überschreitet den Rand eines jäh abfallenden Hochplateaus, lehrt das Publikum zu fliegen und entführt ins Jahr 1947, als der kleine Jim ein ihn prägendes Erlebnis hat. Der Song „The End“ setzt ein. In einer der Schlüsselstellen des Liedes kokettiert Morrison mit der Freud’schen Meinung, dass jeder Junge seinen Vater töten und mit der Mutter schlafen möchte. Auch hierzu fallen Stone sinnfällige, dem Horrorgenre entlehnte Bilder ein. Die Kamera ist in Kniehöhe postiert und folgt einem Beinpaar, das durch einen langen Korridor geht. Am Ende des Ganges wird eine Tür aufgestoßen, die Kamera richtet sich auf und zeigt den Hinterkopf eines Mannes, der in einer Badewanne liegt. Dann ist der Spuk vorbei. Dieses Bild aber kehrt mehrmals wieder, ebenso wie Morrisons Visionen von Indianern, deren Anführer scheinbar um den Zeitpunkt seines Todes weiß.
Es war nicht zu erwarten, dass Oliver Stone die Rocklegende in Form eines Heiligenbildchens ehren würde. Aber wie er mit ihr umspringt, wie er Morrisons Besessenheiten überzeichnet, kann eingefleischte „Doors“- Fans auf die Palme bringen. Diese Mythenzertrümmerung hat durchaus Methode. Mit einem sabbernden, lallenden, ständig betrunkenen Rockstar entwirft Stone das Gegenbild des Mythos Jim Morrison. Es ist durchaus denkbar, dass man sich dem Menschen Morrison annähern kann, wenn es gelingt, beide Bilder, das der verklärten Erinnerung und deren diabolischen Gegenentwurf, zur Deckung zu bringen. Diese Einsicht verlangt allerdings eine aktive Mitarbeit, denn psychologische Feinarbeit ist nicht Stones Sachet. Statt die Figur des Protagonisten zu vertiefen und ihre Gebrochenheit sichtbar zu machen, nimmt er deren Schattenseiten als gegeben hin und zeigt ihn als tanzenden Derwisch inmitten einer der Welt entrückten Menge, als selbstverliebten Rockpoeten und Ekelpaket.
Die Inszenierung findet dazu die Unterstützung des Hauptdarstellers Val Kilmer, der Morrison verblüffend ähnlich sieht und einige Songs selbst interpretiert. Häufig entsteht der Eindruck, dass Kilmer nicht spielt, sondern versucht, Morrisons Leinwand-Abbild zu leben. Das trägt zur Distanzlosigkeit des Publikums bei, das ganz in den Sog der wüsten Geschichte einbezogen wird. Das Ergebnis ist ein verzerrtes, sehr subjektives Bild jener wilden Jahre des Rock`n`Roll, auch wenn es in seinen Grundaussagen und Tendenzen durchaus richtig ist. Experimente und Ekstase waren angesagt, der Konflikt und die Auseinandersetzung mit der Welt und Kultur der Erwachsenen tobte an allen Ecken; die Jugend begehrte auf, sah sich als Maß aller Dinge, Sexualität war nicht mehr mit Tabus belastet und „safer sex“ noch ein Fremdwort.
Einen drauf machen
Das Ergebnis ist ein ebenso befremdlicher wie faszinierender Film, der mit viel „Doors“-Musik unterlegt ist und den man mit zwei Möglichkeiten verlässt: nach Hause zu gehen, die alten „Doors“-Platten aufzulegen und versuchen, das schiefe Bild wieder ins Lot zu bringen. Oder aber der Lust nachzugeben, „einen drauf zu machen“, obwohl man über zwei Stunden lang gesehen hat, dass dies zu keinem guten Ende führt.