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Filmkritik
Manche sagen, sie sei eine Hexe. Vor allem die älteren Frauen in der Gemeinde, die sehen, wie unangemessen aufreizend sich Alberta (Glenn Close) für ihr Alter sogar bei ihren Chemotherapien noch kleidet, nur um den jüngeren Männern den Kopf zu verdrehen. Nein, beliebt ist sie nicht. Berüchtigt vielleicht, weil die 70-Jährige einst einen Schwarzen heiratete und jetzt als einzige Weiße in einem dieser heruntergekommenen Schwarzen-Viertel von Pittsburgh lebt. Die ganze Brut der Jacksons ist hier nicht wohl gelitten. Albertas Tochter Ebony (Andra Day) hat oft Probleme mit den Officers und dem Jugendamt. Sie nimmt nie ein Blatt vor den Mund, noch behält sie die Faust in der Tasche. Darunter leiden mitunter auch ihre eigenen Kinder, die zwei Ältesten Nate (Caleb McLaughlin) und Shante (Demi Singleton), und selbst Nesthäkchen Dre (Anthony B. Jenkins) wird nicht verschont.
Dabei ist nicht jeder blaue Fleck des Jungen und jede psychische Verwirrung des eigentlich Introvertierten mit den familiären Bedingungen zu erklären … er sei eben manchmal ungeschickt oder zu häufig im gefährlichen, weil versifften Keller. Zumindest behauptet das Ebony immer wieder gegenüber Alberta, die ihren Frust darüber in der Liebe zu Gott in der Baptisten-Messe herausschreit. Auch Sozialarbeiterin Cynthia (Mo’Nique), die langsam mit den Gedanken spielt, die Kinder endgültig aus dem Haus der Jacksons zu nehmen, kennt die ewigen Ausreden Ebonys nur zu gut. Aber sind es wirklich Ausreden, wenn sie Dre vermeintlich in Gesprächen mit einem fiktiven Freund erwischt oder bei Selbstverletzungen, wenn er stoisch mit dem Kopf gegen die geschlossene Kellertür stößt?
Betrachtet man die Filme „Monster’s Ball“ (2001) oder „Precious“ (2009), die Lee Daniels als Produzent und/oder Regisseur realisiert hat, fällt auf, dass in ihnen der Blick auf gesellschaftliche Missstände und zwischenmenschliche Abgründe durchaus erkennbaren Genre-Markungen meist deutlich überlagert. Mit seinem jüngsten Werk „The Deliverance“, dessen Drehbuch nach wahren Begebenheiten entstanden ist, wendet er sich nun dem handfesten Geister-Horror zu. Doch das Übersinnliche scheint den Filmemacher eigentümlich wenig zu interessieren. Denn so glaubwürdig und realistisch die Vorstadttristesse in den Schwarzen-Ghettos rüberkommt, so aufgesetzt, klischeehaft kommt das Dämonische in die Welt der Jacksons. Der Poltergeist oder, wie es im Film immer wieder heißt, der Teufel, ist wie immer im Keller, kommuniziert unsichtbar mit dem jüngsten Bewohner und initiiert mit allen Bewohnern Begegnungen der dritten Art. Auch die genreübliche, nach einigen Vorfällen in die Handlung gehievte Fachfrau für Paranormales geistert durch den Film in altbekannter, indes zumeist erfolgloser Manier. All das mag vielleicht in der zugrundeliegenden Geschichte der Jacksons so gewesen sein, ist aber für die Spannungskurve eines Geisterhorrors in der Flut ganz ähnlich gelagerter Geschichten nicht gerade aufsehenerregend.
Highlight: Der Auftritt von Glenn Close
Was bleibt, ist also eine bittere Sozialstudie mit „Amityville Horror“- und „Poltergeist“-Attitüde ohne komödiantischen Unterton. Zumindest eine Skurrilität hat „The Deliverance“ dann aber doch zu bieten: Alberta Jackson. Glenn Close spielt sie mit Mut zum Chargieren irgendwo zwischen dem Stummfilmstar Norma Desmond in Billy Wilders Klassiker „Boulevard der Dämmerung“ und Madame Medusa in Walt Disneys „Bernard und Bianca - Die Mäusepolizei“. Angemalte Exaltiertheit und unfreiwillige Komik paaren sich hier mit einer unergründlichen, granteligen Boshaftigkeit gegenüber der Gesellschaft, aber auch ihrer Familie. Es ist ihrer Darstellungskunst, aber auch den Make-up- und Kostümbildnern zu verdanken, dass unter der krassen Fassade immer auch wieder eine aufrichtig bemitleidenswerte, aber auch starke Figur aufblitzt, die als Einzige dazu fähig scheint, diese von äußeren und inneren Umständen zerrüttete Familie Jackson zusammenzuhalten.
Leider ist Alberta „nur“ eine tragende Nebenfigur in der Geschichte, in der alle anderen Charaktere – inklusive des Poltergeists – seltsam egal scheinen. So wunderbar diese Figur auch ist, so erdrückend ist sie für die eigentliche Geschichte, die man immer dann verdammt, wenn sie sich von Alberta abwendet. John Cassavetes hätte Alberta im freigeistigen „New Hollywood“ der 1960er-Jahre eine eigene ätzende Porträt-Studie gewidmet und sie mit Gena Rowlands besetzt. Hier erleben wir indes ein gut gemeintes Sozialdrama mit zu wenig Geist(ern) und zu wenig Grusel. Schade!