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Filmkritik
Eine graue, schäbige, fast fensterlose Kneipe, in der sich jeden Abend dieselben Männer versammeln, ist das letzte Fleckchen Kultur, das dem namenlosen Dorf im Hinterland Galiciens geblieben ist. Drumherum sind die Häuser leer, ihre Bewohner längst in die Städte geflohen. Übrig sind nur noch die Alten und Hoffnungslosen, die sich in dieser trostlosen Taverne zusammenscharen. Der spanische Regisseur Rodrigo Sorogoyen inszeniert die Kneipe wie einen Saloon, mit einem wortkargen Barkeeper hinter dem Tresen und sarkastisch geschwätzigen Bösewichten am Tisch. Statt Whisky trinken sie Schnaps. Statt Poker spielen sie Domino.
Xan, der ältere der beiden Anta-Brüder, gibt den Ton an. Rau, lauernd, gespielt freundlich, aber heimtückisch. Ein finsterer Geselle mit schwarzen Augen, einem von harter Arbeit gestählten Körper ohne ein Gramm Fett zu viel. Ganz anders sein Gegenspieler, „der Franzose“, wie Xan ihn verächtlich nennt. Antoine, wohlbeleibt, mit kräftigen Armen, rundem Bauch, ist ein Akademiker und vor ein paar Jahren mit seiner Frau Olga dorthin gezogen, wo sonst alle nur wegwollen. Gemeinsam betreibt das Paar einen Biobauernhof und renoviert Häuser, um dem Dorf neues Leben einzuhauchen. Dabei verbreiten sie einen urbanen Zurück-aufs-Land-Enthusiasmus, den der dort verwurzelte Xan nur als Arroganz und Überheblichkeit wahrnehmen kann. Zwei Welten prallen aufeinander, unvereinbar und unversöhnlich: Bildungsbürger und Bauern, Natur und Kultur.
Streit um den Bau von Windkrafträdern
Grimmige Blicke und süffisante Bemerkungen prägen die Atmosphäre. Vollgepinkelte Gartenstühle, Batterien in der Zisterne, eine verdorbene Ernte. Von Anfang an liegt die Eskalation in der Luft. Unvermeidlich erscheint sie, als mit Breixo der engste Vertraute der Zugezogenen stirbt. Der alte Ziegenhirte war der Einzige, der sich außer Antoine und Olga noch weigerte, das Land für den Bau von Windrädern zu verkaufen. Während Olga die ständigen Streitigkeiten, die unterschwelligen Drohungen und offenen Anfeindungen schon lange leid ist, stemmt sich nur noch Antoine gegen den Deal. Aus Xans Sicht ist er der Einzige, der sich zwischen ihn und sein Recht stellt, und deshalb muss Antoine aus dem Weg geräumt werden.
„Wie wilde Tiere“ ist von einem wahren Fall inspiriert, in dem die konträren Lebensweisen alteingesessener Dorfbewohner und biodynamischer Stadtflüchtlinge unheilvoll kollidierten. Sorogoyen und die Drehbuchautorin Isabel Peña deuten den Nachbarschaftsstreit als urtümlichen Überlebenskampf in der Tradition der „Rapa das Bestas“ um, eines Rituals, bei dem die „Aloitadores“ („Kämpfer“) genannten Männer aus den galicischen Dörfern Wildpferde ins Tal treiben, um sie dort gemeinsam niederzuringen und zu scheren. Mit jenem Sinnbild eröffnet der vielfach preisgekrönte, unter anderem mit neun „Goyas“ ausgezeichnete Film. Es ist vielleicht das Einzige, was in diesem vor archaischer Energie nur so berstenden Meisterwerk aufgesetzt wirkt. Und das nicht etwa, weil sonst quasidokumentarisch lebensecht erzählt würde. Ganz im Gegenteil. „As Bestas“, wie der Film im Original heißt, dessen dunkle Klangfarbe der deutsche Verleihtitel „Wie wilde Tiere“ komplett ins Gegenteil verkehrt und dabei auch noch herablassend rechthaberisch klingt, versprüht also gleichsam in jeder Einstellung den Geruch des Genrekinos.
Eine jähe Wendung
Er habe den Film wie einen Western konzipiert, notierte der Regisseur, mit einer neutralen, distanzierten Kamera, die den Charakteren aus sicherer Entfernung folgt und sie mit bildgewaltigen Panoramaaufnahmen in die Landschaft der Bergketten, Almen und Wälder einbettet. Dazu passt auch die als Saloon angelegte Bar. Weniger gut fügen sich die moralischen Zwischentöne in die filigran geschriebenen und wuchtig-brillant gespielten Dialogen, aus denen längst nicht immer klar wird, wer im Recht oder im Unrecht ist. „As Bestas“ weist also allenfalls Anklänge an einen subversiven Spätwestern auf, aber auch der ist plötzlich einfach zu Ende. Mitten im Film nimmt die Handlung eine jähe Wendung, und statt der brachialen Männer im Wilhelm-Tell- oder Michael-Kohlhaas-Format rücken im zweiten Teil die verständigeren, aber nicht weniger beharrlichen Frauen in den Fokus: Olga und ihre Tochter Marie.
„As Bestas“ wird vielfach als Thriller gepriesen, aber das ist der Film zuallerletzt. Das zähe Ringen mit der Natur, der Landschaft wie der menschlichen, kreatürlichen Natur, lässt wenig Raum für Thrills. Es kommt zwar zu einzelnen Schreck- und Schockmomenten, wenn die Anta-Brüder etwa nach Breixos Begräbnis Antoine und Olga auf dem Nachhauseweg nachstellen. Aber eine Thriller-Aura verströmt der hartnäckig ruhig fotografierte Film nicht. Schon eher bricht sich eine märchenhafte Magie Bahn: ein zauberisch zwielichtiger Wald, die düstere Schenke, der einsame Hof und, wie zwei „Krabat“-Gestalten, die beiden Anta-Brüder, Xan und der jüngere, leicht linkisch wirkende Loren. Beide werden von Luis Zahera und Diego Anido grandios verkörpert; nur zwei Nebendarsteller, aber das dunkle Herz dieses pulsierenden Dramas.
Die Kraft eines überwältigenden Films
Die wenigen, sich stetig wiederholenden Schauplätze verleihen dem Geschehen auch etwas Kammerspielartiges. Nicht zuletzt sind es die herausragenden schauspielerischen Darbietungen (auch von Denis Ménochet und Marina Foïs in den Hauptrollen), aus denen sich die besondere Kraft dieses überwältigenden Films speist. Angesichts der Melange aus Pathos, einem überschaubaren, urtümlichen Setting, der Naturgebundenheit und den gewaltsamen Konflikten um die Frage, was es bedeutet, hier zu Hause zu sein, lässt sich „As Bestas“ wohl am ehesten so beschreiben: als sehr moderner, sehr düsterer Heimatfilm.