Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Es braut sich etwas zusammen. Curtis LaForche starrt in den sonst so friedlichen Himmel. Dunkle Wolken ziehen am Horizont auf, es donnert, gleich wird es regnen. Aber es ist kein Wasser, das sich auf seinem Handrücken ansammelt. Es ist ein unnatürliches Gemisch, dreckig wie Matsch und schmierig wie Öl. Solches würde Curtis eigentlich von unten erwarten, von dort, wohin er als Straßenarbeiter für gewöhnlich gräbt. Tagsüber bohrt der wuchtige Mann Löcher für das Kanal- und Leitungssystem im ländlichen Ohio, wo er mit seiner Frau und seiner tauben Tochter lebt. Nachts aber wird er von schrecklichen Albträumen geplagt, von furchtbaren Szenarien, die ihn ins Bett urinieren lassen und immer stärker auf eine bevorstehende Apokalypse hinzudeuten scheinen. Alles Gefährliche kommt von oben, und so beginnt Curtis vor den erstaunten bis entsetzten Augen seiner Familie und Freunde, in seinem Garten zu buddeln. Er hebt eine riesige Grube aus, um den schon existierenden Schutzbunker für seine Familie auszubauen. Das kostet ihn nicht nur viel Geld, was eigentlich für die Operation seiner Tochter nötig wäre, sondern auch seinen Job. Aber was ist das schon, wenn das nackte Überleben auf der To-Do-Liste steht? Die Bedrohung liegt in Jeff Nichols’ intensivem Stück Apokalypse-Kino in der Luft, das mit dem Weltuntergang im Kopf eines Einzelnen beginnt, der sich vorzubereiten versucht auf etwas, das alle treffen wird. Es ist das psychische Drama eines Menschen, der das physische Drama aller vorauszusehen scheint. In Deckung zu gehen, wird zur einzigen Option angesichts der düsteren Atmosphäre, in die die Inszenierung ihre Erzählung taucht. Der Film fühlt sich dabei selbst wie die Luft vor einem schweren Gewitter an: dicht, dampfig, unheilschwanger, mit undefinierbarer Elektrizität aufgeladen. Vielleicht ist das auch die Stimmung, die in Curtis’ Kopf herrscht. Wie ein großer Albtraum rahmt seine neue Realität der Angst all die irrealen Visionen, die ihn nachts heimsuchen. In Curtis kämpft Innen gegen Außen, Überzeugung gegen Naturgesetze, Aberglaube gegen pure Fakten. Das wirkt horresk, ohne sich der üblichen Genre-Mittel zu bedienen. Allenfalls Edgar Allen Poe oder M. Night Shyamalan drängen sich als Vergleichspunkte auf. Auch in „Signs“ (fd 35 588) und „The Happening“ (fd 38 787) versuchen Menschen, ihre Liebsten im vermeintlich geschützten Drinnen vor dem beunruhigenden Draußen zu bewahren. Sie beginnen, Vorkehrungen gegen eine unsichtbare Bedrohung zu treffen, zweifeln an ihrer Wahrnehmung und werden doch eines Besseren belehrt. Normalerweise gelten Träume in Film und Literatur als billige Auswege, um eine Handlung ins Fantastische fließen zu lassen. Geschehnisse werden als real vorgegaukelt, damit sie ihren Schrecken verbreiten können, bis man den Träumenden schweißgetränkt aufschrecken sieht. Das ist meist ein fauler Kompromiss. Bei „Take Shelter“ hingegen ist die Tauchfahrt ins Unterbewusste ein äußerst effektives Motiv, das weniger mit erzählerischer Effekthascherei zu tun hat, als dass es vielmehr direkt ins Zentrum jenes inneren Sturms führt, um den es hier geht. Alles dreht sich um die Zweifel eines Mannes an sich selbst, um die Streiche, die ihm sein Gehirn spielt: Realität und Vision verschwimmen angesichts der Frage, wann die Apokalypse einsetzt und ob sie das überhaupt tun wird. Für den aufgewühlten Familienvater ist die Flucht nach unten die einzig richtige Bewegungsrichtung angesichts dessen, was sich oben zusammenbraut. Aber Curtis besitzt auch eine an Schizophrenie leidende Mutter, die im Heim lebt; die Auswirkungen ihrer Krankheit waren ähnlich, die Symptome aber ganz anders. Curtis verspürt eine unglaubliche Beunruhigung in sich; er sucht schamhaft einen Psychologen auf und handelt dann doch gegen alle Ratschläge so, wie es ihm sein Beschützerinstinkt vorzugeben scheint. Der Film ist hochspannend, weil oft ausgespart bleibt, was Curtis letztlich sieht und fühlt, was Realität ist und was Realität sein wird. Ob sich diese Wolken nur in seinem Kopf oder tatsächlich am Horizont zusammenbrauen, ob er unter Visionen oder Wahnsinn leidet, das ist ihm lange Zeit so unklar wie dem Zuschauer. Für Michael Shannon wird diese Rolle eines mental wie räumlich abdriftenden Mannes wie ein Katapult funktionieren. Schon in „Zeiten des Aufruhrs“ (fd 39 088) spielte er einen vermeintlich psychisch erkrankten Mann, der als einziger die Fratze hinter der Fassade der Bürgerlichkeit entlarvt. Auch in „Take Shelter“ agiert er fantastisch als etwas tumber Mann der Tat, der alles besitzt und alles durch seinen deklarierten „Wahnsinn“ verliert. Die Analogie zu Amerika als einem Land, das sich wie Curtis vor einer unsichtbaren, schwer lokalisierbaren Bedrohung einbunkert, greift zu kurz; vielmehr berührt der Film globale Urängste. Sein Titel „Take Shelter“ wirkt weniger als Statement oder als Anspielung auf das eingeigelte Amerika als wie eine Aufforderung. Es ist die Reaktion auf eine Welt, die sich selbst nach den gescheiterten Klimagipfeln in Kopenhagen und Durban schwer tut, Vorkehrungen für den Ernstfall zu treffen. Curtis ist nicht Amerika. Er ist der international nicht ernstgenommene Schwarzseher, der sich für die Idee des sicheren Eintreffens einer Naturkatastrophe lediglich etwas schneller erwärmt als die anderen.