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Filmplakat von Sultanas Traum

Sultanas Traum

87 min | Drama, Dokumentarfilm, Animation | FSK 16
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In der indischen Stadt Ahmedabad entdeckt Inés, eine junge Künstlerin, das namensgebende Buch der Sozialreformerin Rokeya Hossain. Schon 1905 entwarf Hossain eine utopische Vision einer Welt, in der Frauen angstfrei leben und öffentliche Ämter bekleiden, während Männer den häuslichen Bereich nicht verlassen. Sie begibt sich auf eine Entdeckungsreise durch Indien auf der Suche nach Ladyland, dem utopischen Land der Frauen.

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Filmkritik

Langsam gleitet der Blick hinter schweren Baumstämmen entlang. Ein schwarzer Hund jagt bellend ins Bild und verspricht nichts Gutes; zwei Vögel flattern aufgescheucht davon. Ein metallenes Geräusch, vielleicht eine verrostete Schaukel, dann eine Lichtung, im Hintergrund verwunschen der Kristallpalast im Madrider Retiro-Park. Alles ist schimmernd grün, schwarz strecken Bäume ihre filigranen Äste und Zweige aus und ein Mädchen im roten T-Shirt zeichnet sich ab. Es sitzt auf einer Bank und wartet auf den Vater, der nicht kommt.

Mit berückend schönen und stimmungsvollen Bildern eröffnet Isabel Herguera ihren Animationsfilm „Sultanas Traum“ und erschafft damit zugleich einen Moment voller Unheil. Denn das elfjährige Mädchen, so erinnert sich die Ich-Erzählerin aus dem Off, wird von einem fremden Mann taxiert und spürt zum ersten Mal etwas, das fast alle Mädchen und Frauen im Laufe ihres Lebens ein-, meist mehrmals durchmachen müssen: „Ich hatte Angst, weil ich eine Frau war.“ Mit dieser Eröffnungsszene blickt die Protagonistin Inès auf eine Erfahrung zurück, die für sie alles verändert und ein Gefühl etabliert hat, das nie wieder ganz verschwindet.

In Ladyland sind Männer out

Viele Jahre später, Inès ist mittlerweile Künstlerin und macht Animationsfilme, entdeckt sie im indischen Ahmedabad eine Ausgabe des Buchs „Sultana’s Dream“, das die bengalische Feministin und Sozialreformerin Rokeya Hossain im Jahr 1905 geschrieben hat. In ihrer utopischen Zukunftsgeschichte entwirft sie eine Welt, in der Frauen furchtlos leben, weil kein Mann sie belästigen, bedrohen oder gar angreifen kann. In diesem „Ladyland“ haben die Frauen das Sagen und bekleiden alle wichtigen Ämter – Greta Gerwigs Barbieland lässt grüßen. Doch während bei Barbie all die Kens noch hübsch anzusehendes Begleitpersonal sind, bleiben die Männer in Ladyland konsequent in den privaten Bereich verbannt und vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Die Frauen gestalten hier ein friedliches Miteinander im Einklang mit der Natur.

Inès ist fasziniert von der Kurzgeschichte und der Autorin, zumal diese nicht nur das Patriarchat kritisiert, sondern auch Entwicklungen unserer heutigen Zeit, etwa die Ausbeutung natürlicher Ressourcen, voraussieht und benennt. Sie will mehr über Rokeya Hossain und ihr Buch erfahren und begibt sich auf eine Reise, bei der sie zu sich selbst findet.

Drei parallele Geschichten

Isabel Herguera erzählt in ihrem Kinofilmdebüt drei Geschichten parallel. Neben der Reise der Protagonistin zeichnet sie in „Sultanas Traum“ das Leben der Schriftstellerin Rokeya sowie den Inhalt ihrer Kurzgeschichte nach, wobei sie für jeden Teil eine eigene Animationsart wählt. Während die Passagen mit Inès in traditioneller 2D-Animation mit detailreichen Aquarellbildern und durchscheinend wirkenden, digital erstellten Figuren realisiert wurden, verwendete die Regisseurin für Rokeyas Mini-Biografie die Cut-Out-Technik, die an asiatisches Schattentheater erinnert, aber auch an die Scherenschnitte von Lotte Reiniger. Herguera hat dafür mit bengalischen Spezialistinnen zusammengearbeitet, die Schattentheaterpuppen herstellen. Die auf Seidenpapier gemalten Hintergründe wurden während der Animation mit Kerzenlicht beleuchtet, um so die typische Transparenz eines Schattentheaters nachzuempfinden.

Die Kapitel in Ladyland sind dagegen mit Henna-Farbe im sogenannten Mehndi-Stil, der auch für ornamentale Körperbemalungen genutzt wird, gestaltet und wurden zusammen mit einem indischen Frauenkollektiv erarbeitet und umgesetzt. Die Animation ist somit streckenweise in der indischen und bengalischen Kultur und Bildsprache verankert, was nicht nur Mittel zum Zweck ist, sondern zur Geschichte von „Sultanas Traum“ gehört. Dieser Ansatz fand sich auch schon in dem Animationsfilm „Die Odyssee“ (2020) von Florence Miailhe, die mit Hilfe der fluiden Öl-auf-Glas-Technik das Unbeständige und Unvorhersehbare einer Flucht sowohl inhaltlich wie formal vermittelte.

Betörendes Spiel der Farben

Mit Inès begibt man sich auf Entdeckungsreise und lässt sich betören von den Farben, dem Spiel von Licht und Schatten, Chaos und Geräuschen in den Städten und den plötzlich einbrechenden Regengüssen, den vielen Eindrücken und Momentaufnahmen, die man kaum verarbeiten kann, aber auch nicht missen will. Im Voice-Over reflektiert die Protagonistin ihre Reise und ihre Beobachtungen. Sie denkt über die Rolle der Frauen nach, über das Patriarchat, ihre eigenen Beziehungen zu Männern. Da ist ihr Geliebter ámár, ihr Vater, und vor allem ihr Vertrauter Paul, mit dem sie sich über Träume und Gender austauscht. Seine Figur ist von dem spanischen Queer-Theoretiker und Philosophen Paul B. Preciado inspiriert, der die Rolle für den Film auch eingesprochen hat.

Inès ist nicht so radikal wie Rokeya Hossein, die die Männer in ihrer Geschichte wegsperrt. Aber sie ist sich der Bedrohung bewusst, die von ihnen ausgehen kann, und reist dennoch allein und scheinbar unerschrocken durch die Welt, lässt sich dabei auch immer wieder auf Neues und Unbekanntes ein. Ein Widerspruch? Das Gefühl von Sicherheit und Unsicherheit liegt eben manchmal ganz nahe beieinander. Nicht nur im Film. „Sultanas Traum“ ist keine Abrechnung mit Männern, vielmehr eine Beschreibung des Ist-Zustands und eine intime Entwicklungsgeschichte. Am Ende von Inès’ Reise wie auch des Bilderzaubers bleibt die Zuschauerin jedoch etwas irritiert zurück: Sind Träume wirklich alles, was Frauen der gesellschaftlichen Realität entgegensetzen können?

Erschienen auf filmdienst.deSultanas TraumVon: Kirsten Taylor (18.8.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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