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Filmkritik
Wir leben in seltsamen Zeiten. Der Titel des 61. abendfüllenden Trickfilms aus dem Hause Disney scheint das als Maxime aufzugreifen. „Strange World“ heißt das bunte Abenteuer, das in die beschauliche, vorindustrielle Welt von Avalonia entführt. Die ist von hohen, unüberwindlichen Bergen umgeben, welche das Vater-Sohn-Gespann Jaeger und Searcher Clade und ihr Expeditionsteam überwinden wollen. Der eher sesshafte Sohn Searcher entdeckt dabei eine elektrisch geladene Pflanze, die er nach Avalonia zurückbringen will, während sein Vater Jaeger weiter die Berge bezwingen möchte. Nach einer heftigen Auseinandersetzung setzt Jaeger die Expedition alleine fort und verschwindet im Schnee.
25 Jahre später hat die elektrische Pflanze Avalonia Fortschritt und Entwicklung gebracht. Searcher ist selbst Vater geworden und bewirtschaftet zusammen mit seiner Frau Meridian und Sohn Ethan eine große Farm, wo er seine Pflanze anbaut. Doch die Idylle wird getrübt, als eine merkwürdige Krankheit die Saat befällt. Um Avalonia zu retten, macht sich eine Expedition mit Searcher ins Innere der Erde auf, um die Krankheit zu ergründen und zu eliminieren. Dort strandet die Gruppe nach einem Angriff fremdartiger Kreaturen in einer unterirdischen „Strange World“ und muss sich dort nicht nur vielen Abenteuern stellen, sondern stößt auch auf den längst totgeglaubten Jaeger Clade.
Eine Art Hommage an Jules Verne
Wahrscheinlich ist „Strange World“ als eine Art Hommage an Jules Vernes „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ und Arthur Conan Doyles „Die vergessene Welt“ gedacht, ergänzt um Anspielungen an den Science-Fiction-Film „Die phantastische Reise“ und dessen Remake „Innerspace“, in dem Dennis Quaid, der nun Jaeger Clade die Stimme leiht, die Hauptrolle spielte. Hinzu kommen Vorbeugungen vor US-Abenteuer-Serien der 1940er-Jahre, die auch in Steven Spielbergs „Indiana Jones“-Filmen gewürdigt wurden; so teilt sich „Strange World“ mit „Indiana Jones“ denselben Schriftfont. Und überdies versucht der Film, auf den Spuren des US-amerikanischen Zeitgeistes eine moderne Abenteuergeschichte zu erzählen. Doch das geht ziemlich schief.
Denn eine Geschichte spannend zu erzählen, bedeutet im Kino, interessante Charaktere zu entwickeln; es verlangt einen nachvollziehbaren Konflikt, eine stringente Handlung mit einem spannenden Höhepunkt plus einen befriedigenden Schluss. Dazu kommt eine gewisse Konzentration auf die eigentliche Handlung, visuelle Fabulierkunst und eine gute Filmidee. Wer einmal „Casablanca“ mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman und „The Hateful 8“ von Quentin Tarantinos miteinander verglichen hat, weiß um den Unterschied.
Der US-Zeitgeist ist gegenüber „Casablanca“ heute um einige unverzichtbare Elemente reicher, etwa „Wokeness“, „#Metoo“, Diversität, Inklusion, LGBTQ+ oder Umweltbewusstsein – was ganz offensichtlich Auswirkungen auf das aktuelle Filmerzählen hat. Die Welt ist deutlich komplizierter als zu „Casablancas“ Zeiten. Um allen gerecht zu werden, meint man deshalb mehr erzählen zu müssen, um Missverständnissen vorzubeugen. Das ist vielleicht einer der wesentlichen Gründe, warum Spielfilme gefühlt immer länger werden und Serien derzeit höher im Kurs stehen.
Als Kinoereignis grandios gescheitert
Das ist aber auch der Grund, warum „Strange World“ als Film mehr als unbefriedigend ist und als Kinoerlebnis grandios scheitert. Denn die Einzelteile des Films sind zwar durchwegs berechtigt und politisch korrekt, harmonieren aber nicht im Zusammenspiel und ergeben kein großes Ganzes. Da ist der Generationenkonflikt zwischen Großvater, Sohn und Enkel, der erhobene Öko-Zeigefinger, der auf den „Fridays for Future“-Zug aufspringt; da ist die Inklusion diverser ethnischer Gruppen, behinderter Hunde und freundlicher wie feindlicher „Aliens“. Das alles wird mit einer merkwürdig unbestimmten Mythologie garniert, die irgendwo zwischen indischem Weltenberg und Terry Pratchetts „Scheibenwelt“ schillert.
Dass ein Trickfilm keinen wirklichen Bösewicht braucht, haben Filme wie „Der Drache meines Vaters“ oder „Mein Nachbar Totoro“ längst bewiesen. Doch gerade dann braucht es einen nachvollziehbaren Konflikt. In einer Szene von „Strange World“ wird das sogar explizit thematisiert, als die Familie Clade ein Fantasy-Kartenspiel spielt und Ethan die neuen Regeln erklärt, die keinen Bösewicht mehr vorsehen. „Bad Storytelling“, „schlechtes Erzählen“, bemerkt Großvater Clay trocken und benennt damit das große Problem des Films. Denn Disney-Trickfilme sind berühmt für ihre archetypischen Schurken, und so ganz kommen die Autoren auch hier nicht ohne sie aus, was zu grotesken erzählerischen Verrenkungen zwingt. Dies wiederum führt zur Verwirrung des Zuschauers, der irgendwann schlicht aufgibt, dem allem zu folgen. Das aber untergräbt die Empathie mit den Charakteren, womit „Strange World“ wie ein Soufflé in sich zusammenfällt.
Technisch und mit Blick aufs Art-Design ist „Strange World“ selbstredend auf überragendem Niveau und damit vor allem deutschen Trickfilmproduktionen meilenweit überlegen. Doch einer Story einfach mehr Geschichten hinzuzufügen, um sie zeitgemäßer zu machen, heißt nicht, dass sie dadurch auch besser würde. Nichts macht dies deutlicher als der bemerkenswerte Umstand, dass „Strange World“ immerhin den ersten offen homosexuellen Hauptcharakter in einem Family-Entertainment-Trickfilm aus dem Hause Disney präsentiert. Ethan ist in einen Jungen aus der Nachbarschaft verschossen, was von seinen Eltern positiv unterstützt wird.
Storytelling geht anders
In der schönsten Szene des Films, in einem Gespräch zwischen Enkel und Großvater, kommt dies zur Sprache und wird dabei vom Großvater nicht etwa in Frage gestellt, sondern als völlig normal nicht weiter thematisiert. Diese Szene ist in sich herausragend und ein fulminantes Statement gegen die amerikanische LGBTQ+-feindliche „Don’t say gay“-Gesetzgebung des Bundesstaates Florida. Doch auch wenn diese Szene „Strange World“ filmhistorisch bemerkenswert macht, bringt sie die Story des Films keinen Millimeter voran. Das ist schade. Und ein Paradebeispiel für schlechtes Storytelling.