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Filmkritik
Man hilft einander in Stillwater, Oklahoma. Beim Richten der Weidezäune oder auch, wenn Schlimmeres passiert. Bei Tornados oder Feuer beispielsweise. Bill Baker (Matt Damon) weiß, wie man anpackt. Auf der Ölplattform gibt es zwar keine Arbeit mehr für ihn, aber der rechtschaffene, gottesfürchtige Mann hat seine kräftigen Hände nie in den Schoß gelegt. Sein Leben ist ihm dennoch entglitten. Dabei wollte er für alle immer nur das Beste. Nach dem frühen Tod seiner Frau hat er es als alleinerziehender Vater zusammen mit seiner Schwiegermutter geschafft, seiner Tochter Allison (Abigail Breslin) ein Studium in Paris zu finanzieren. Damals verdiente er nicht schlecht, und in Stillwater braucht man nicht viel. Vom Leben seiner Tochter hat er allerdings nur wenig mitbekommen.
Bill hat es sich angewöhnt, das Hier und Jetzt mit einer stoischen Ruhe zu ertragen. Auch wenn der Schmerz schwer auf ihm lastet, weil die Justiz in Frankreich entschieden hat, seine Tochter wegen Mordes ins Gefängnis zu stecken. Nur eines hält der Mittvierziger nicht aus und das ist Tatenlosigkeit. Als er wieder einmal in Marseille landet, erfährt er, dass die französische Anwältin in Allisons Fall trotz berechtigter Zweifel nicht mehr tätig werden will. Gut die Hälfte ihrer neunjährigen Haft hat sie schon verbüßt, als herauskommt, dass es vielleicht ein Mann namens Akim gewesen sei könnte, der den gewaltsamen Tod von Allisons Lebensgefährtin verursacht hat.
Ein grimmiger Idealist mit Herz
Bill spricht zwar kaum Französisch, doch seine an Verbissenheit grenzende Beharrlichkeit trägt Früchte. Zunächst will ein Ex-Cop zu viel Geld, um Akim zu finden, der in einer der Hochhaussiedlungen am Rande der Stadt wohnen soll. Das führt nicht zu viel. Es gibt aber nicht nur Rückschläge. Vor allem gibt es mit Virginie (Camille Cottin) unverhofft eine Helferin. Die alleinerziehende Schauspielerin hat ein Herz für Gestrandete und nimmt Bill bei sich auf, nicht zuletzt, weil ihre Tochter Maya den grimmigen Idealisten ins Herz geschlossen hat. Ohne Virginies Wissen macht sich Bill allerdings auf eigene Faust auf die Suche nach Akim. Und wird fündig.
„Stillwater“ ist ausdrücklich kein Film nach einer wahren Begebenheit. Keine Einblendungen, keine Orts- oder Rollennamen lassen darauf schließen, dass sich die Drehbuchautoren oder der Regisseur Tom McCarthy auf den Fall von Amanda Knox beziehen, die 2007 in Italien als vermeintliche Mörderin einer Freundin verurteilt, nach vierjähriger Haft aber freigesprochen wurde. McCarthy geht es trotz des sehr ähnlich gelagerten Falls nicht um Justizkritik oder die Bewertung unterschiedlicher Rechtssysteme.
Nicht die Beschuldigte und ihr Leidensweg stehen im Mittelpunkt, sondern der Seelenzustand eines Vaters. Wie kann man auf der einen Seite altruistisch sein, mit Fremden eine wunderbare Freundschaft eingehen und Gefühle von Zuneigung und Verantwortung entwickeln, auf der anderen Seite aber, wenn es um die eigene Familie geht, „lediglich“ ein Pflichtbewusstsein besitzen?
Eine Art „Gottesprüfung“
Während Bill für die kleine Maya fast schon väterliche Gefühle empfindet, betrachtet er den Kampf um den Zusammenhalt seiner eigenen Familie eher als eine Gottesprüfung, die eine innige Beziehung nicht unbedingt erfordert. Matt Damon gibt dieser inneren Zerrissenheit zwischen Zuneigung ohne Verpflichtung und der Verpflichtung in Familienangelegenheiten ein eindrückliches und glaubwürdiges Gesicht. „Stillwater“ verfügt über keine Helden, sondern nur über Apologeten des eigenen verkorksten Daseins.
Dabei geht es nie um Schuld, es werden auch keine Lösungen aus dem Dilemma aufgezeigt oder die Figuren ihrer Würde beraubt. „Ich bin kein schlechter Mensch“, sagt Akim flehentlich, als Bill ihn stellt. „Ich wollte nicht, dass alles so gekommen ist, wie es gekommen ist“, beteuert Allison am Ende gegenüber ihrem Vater. Man möchte ihnen beiden glauben, so wie Bill es tut, der ein herzensguter Mensch ist, auch wenn er mitunter das Gegenteil beweist.
Auf einer Antiheldenreise
„Stillwater“ ist weder ein investigativer Thriller noch ein Courtroom-Drama. Tom McCarthy erzählt vielmehr von menschlichen Tragödien und wunderbaren Momenten, die die Tragik des Daseins fast vergessen machen. Und er spielt mit den Erwartungen der Zuschauer, die sich allzu gerne von Vorurteilen leiten lassen. Doch McCarthy ist im schonungslosen Realismus des „New Hollywood“ verwurzelt und im Vexierkino des Dramatikers David Mamet, dessen frühe Filme, „Haus der Spiele“, „Homicide“ oder „Oleanna“, eindrucksvolle Beweise dafür sind, dass nichts so ist, wie es aus einer bestimmten Perspektive scheinbar unumstößlich zu sein scheint.
Das macht „Stillwater“ zu einem Film, der nicht leicht zu verstehen ist und dessen Figuren man nicht bedingungslos mögen muss; im Finale fordert er überdies echten Interpretationswillen. Doch gerade das macht die Antiheldenreise des Mannes aus Stillwater so spannend und faszinierend.