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Filmkritik
In lila-bläuliches Neonlicht getaucht, baden Trish (Margaret Qualley) und Daniel (Joe Alwyn) buchstäblich im Klang der „Tindersticks“. Irgendwo in Nicaragua, in einer Bar, wo doch tatsächlich ein DJ die britischen Melancholiker um Sänger Stuart A. Staples auflegt. Die Kamera ist ganz nah dran an den Körpern, die sich berühren, umarmen und küssen. Keine Verdinglichung der Körper findet hier statt. Eher eine Versinnlichung, in der die Berührungen Bild werden dürfen.
Zu diesem Zeitpunkt ist man bereits knapp über eine Stunde in diesem Fiebertraum von einem Film, den Claire Denis geschickt in dieser eben beschriebenen ortlosen Körperlichkeit zu intensivieren versteht. Da sind die beiden Gestrandeten, deren einzige Chance eine leidenschaftliche Liebesbeziehung ist, um am Ende vielleicht nur mit einem blauen Auge und einem Streifschuss aus der Sache zu kommen. Die intime Nähe zu diesem Paar in dieser spezifischen Szene findet ihren Kontrast, wenn das Bild zurückspringt und den Blick auf die leere, verlassene Tanzfläche freigibt: Da sind zwei Menschen ganz auf sich allein gestellt, auf sich zurückgeworfen. Alles, was ihnen bleibt, ist ein volatiles Vertrauen ineinander.
Existenziell enthoben
In dem Song der „Tindersticks“ heißt es dann: „And you say / We’ve been there forever / Half close your eyes / See them for yourself.“ Sie selbst sehen, die Sterne am Mittagshimmel, unter denen man schon immer gewesen sei und die man sehen könne, wenn man nur durch halb geschlossene Augen blicke. In dieser existentiellen Enthobenheit, in diesem Zwischenzustand, der hier zum Ausdruck kommt – damit lässt sich „Stars at Noon“ schon ziemlich erfühlen. Begreifen lässt sich der neue Film von Claire Denis hingegen kaum, auch wenn sich die Geschichte auf dem Papier ziemlich geradlinig liest.
Die rätselhafte Trish driftet durch ein Nicaragua kurz vor dem Bürgerkrieg. Es mangelt an allem. Die Zivilbevölkerung leidet an Hunger, dem gesundheitlichen Elend und der staatlichen Willkür des diktatorischen Regimes, das offensichtlich fest von seiner Wiederwahl ausgeht. Die US-Amerikanerin ist als Journalistin ins Land gekommen und offenbar wegen eines kritischen Artikels ins Fadenkreuz der Regierung geraten. Ihr Chefredakteur (John C. Reilly) wünscht am Ende eines völlig absurden Videotelefonats, sie möge doch bitte seine Nummer verlieren. Ohne Geld – das heißt Dollars – und ohne Pass sitzt die junge Frau fest. Einzig ihren Körper kann sie anbieten. Und so schläft sie mit hochrangigen Militärs und Regierungsvertretern oder gut situierten Ausländern, die im gut gesicherten Luxushotel unterkommen. Alles nur, um irgendwie heil aus diesem Land zu kommen.
Dort trifft sie an der Bar den undurchsichtigen Geschäftsmann Daniel, mit dem sie eine hitzige Affäre beginnt. Allerdings ist der Brite nicht der, als der er sich ausgibt. Trish wird in ein gefährliches, hochpolitisches Spiel hineingezogen, in dem den beiden verlorenen Seelen nichts anderes übrigbleibt, als die eben begonnene Affäre als Überlebensstrategie zu benutzen: So fliehen Trish und Daniel in einem gestohlenen Wagen, um über die Grenze nach Costa Rica zu gelangen. Aber wer hat hier eigentlich welche Motive? War eine gemeinsame Flucht jemals das Ziel? Oder läuft hinter der Amour fou ein ökonomisch-politischer Tauschhandel ab?
Alles bleibt angedeutet
All diese Fragen lassen sich auch am Ende von „Stars at Noon“ nicht wirklich beantworten. Zwar basiert der Film auf dem gleichnamigen Roman des amerikanischen Schriftstellers Denis Johnson aus dem Jahr 1986. Denis und ihre Co-Autoren Léa Mysius und Andrew Litvack entkernen allerdings den komplexen Spionage- und Intrigenplot und verlegen die Handlung in die Gegenwart. Was sich in dieser an das Ortega-Regime angelehnten Situation konkret abspielt, wird nur angedeutet. Alles, bis auf die Begegnung und die Beziehung zwischen Trish und Daniel, bleibt vage und angedeutet. Was wir sehen, sind Sex und Flucht. Das sind verschwitzte Körper und Rausch. Alles von Kameramann Eric Gautier in wunderschönen Nahaufnahmen gefilmt, in Bildern, die selbst zu Berührungen werden – eine Ästhetik der Versinnlichung, in der den kleinen Momenten, dem Nebensächlichen und Banalen die gleiche Aufmerksamkeit zuteilwird wie den großen, dramatischen Ereignissen.
Man muss diesen Film im Kino sehen. Erst auf der großen Leinwand entfaltet sich der hypnotische Sog, ist die Hitze der Bilder zu spüren, die von all dem Zweifel und der Offenheit befeuert wird. Es handelt sich bei diesem im Schwebezustand erzählten Film weder um einen erotischen Abenteuerfilm noch um einen handfesten Thriller oder eine politische Romanze. Claire Denis und ihre Mitautoren interessieren sich für Genres nur, um sie in ihrer Funktionsweise umzustülpen, sie in der Folge einer Absage an klassische dramaturgische Mechaniken durch einen narrativ-dramaturgischen Realismus oder eine faszinierende Banalität zu erden.
Wie immer im Kino von Claire Denis wird nichts aufgebauscht. Das Pathos wird auf die Tonspur verschoben, wo die „Tindersticks“ schmachten dürfen. Die Agenten, die Drifter und Falschspieler aber bewegen sich wie die Vampir-Kannibalen in Denis’ Horrorfilm-Dekonstruktion „Trouble Every Day“ in völliger Unaufgeregtheit durch eine unheilvolle Welt, die einem jeden einfach zustößt. Selbst in der Hölle trinkt man einen Rum zum Frühstück.
Konsequent umgekehrter Hitchcock
Diese Art des Erzählens anhand von Beiläufigkeit und unaufgeregten Momenten, die sich selbst in dramatischen Situationen nie wirklich zuspitzen, ist konsequente Umkehrung der Regel, die Alfred Hitchcock einmal aufgestellt hat. Film sei wie Leben ohne die langweiligen Stellen? Nicht bei Claire Denis. Die Handlung gerät zur Nebensache. Das Kino wird zur Vertiefung in die Gesten, die Körper: Alles ist da, bewegt sich und der Grund entzieht sich der Erzählung. „Stars at Noon“ ist erneut ein Wagnis – fürwahr. Aber in allen Belangen faszinierend.