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Filmkritik
Eine so wunderbare wie unwahrscheinliche Freundschaft: Sadie ist über achtzig, in Bingo vernarrt und alleine lebend, Jane unterhält immerhin eine stabile Beziehung zu einem Chihuahua-Hund und versucht im San Fernando Valley als Porno-Sternchen zu glänzen. Richtungsoffen, empathisch im Tonfall und mit Bildern, die in kalifornisches Sonnenlicht getränkt sind – eine schwebende Erzählung über Träume, Einsamkeit und Familienersatz. Am Anfang ist da nur ein Gewirr aus blonden Haaren, Bettdecke, Hundefell und warmem Licht. Die Sonne im kalifornischen San Fernando Valley steht hoch, wenn für die einundzwanzigjährige Jane der Tag beginnt. Ebenso wie Melissa und ihr Freund und Manager/Zuhälter Mikey, mit denen sie eine kleine, unpersönliche Wohnung teilt, ist Jane hauptberuflich Zeittotschlägerin: Schlafen bis in den Mittag, Dope rauchen, vor der Spielkonsole herumhängen, mit dem Chihuahua Starlet spazieren gehen; auch von Ausgehen und Partys ist die Rede, doch das passiert „off-screen“ – „Starlet“ ist ein konsequenter Tagfilm, allein die Hangover-Stimmung zeugt von nächtlichen Verausgabungen. Janes Ziellosigkeit und ihr schläfriges Durchs-Leben-Gleiten macht sich der Regisseur Sean S. Baker auch dramaturgisch zu Eigen. „Starlet“ ist kein Film, der nach vorne erzählt, sondern vielmehr umherstreift – gelassen, fast traumwandlerisch, mal in diese, mal in jene Richtung. Allein die zentrale Figurenkonstellation ist eine Setzung gegen alle Regeln der Wahrscheinlichkeit und wird bis zum Ende mit hartnäckigem Optimismus verfolgt: so führt ein Zufall Jane, deren einzige stabile Beziehung ihr Hund Starlet ist, mit der über sechzig Jahre älteren Sadie zusammen, einer allein lebenden Frau mit verwildertem Garten und unerfüllten Paris-Fantasien. Sadie verkauft ihr auf einem Hofflohmarkt eine Thermoskanne, in der Jane einen schönen Batzen Geld findet. Nach einem kurzen Shoppingexzess meldet sich das schlechte Gewissen, und so treibt es Jane immer wieder in die Nähe der etwas kratzbürstigen alten Dame, bis sich aus dieser sanften Form des Stalkertums so etwas wie eine echte Freundschaft entwickelt. All das erzählt Baker so leicht und schwebend und offen, dass die gegen Ende dann doch sehr expliziten Anspielungen auf eine Mutter-und-Tochter-Ersatzbeziehung ziemlich überflüssig erscheinen. Dafür umgeht Baker glücklicherweise die üblichen Darstellungsmuster – Herzenswärme, Sentimentalität und Schrulligkeit –, mit denen alte Leute im Kino nur allzu gerne portraitiert werden. Sadie, die von der beeindruckenden 86-jährigen Laiendarstellerin Besedka Johnson verkörpert wird, mag zwar ihre kauzigen Seiten haben, doch „Starlet“ zeigt sie meist in unaufgeregter Manier, in ihrem Garten, mit Jane maulfaul in irgendeinem Diner sitzend, beim Bingo-Spielen: Szenen aus einem alltäglichen amerikanischen Vorstadt-Leben mit kleinen Fenstern ins Dokumentarische. Und auch wenn auf halber Strecke des Films erstmals Janes Beruf enthüllt wird – sie arbeitet als Porno-Darstellerin –, passiert das eher wie im Vorbeigehen. Bakers Blick auf die florierende Pornoindustrie im San Fernando Valley, einer Gegend, in der wöchentlich rund 200 Filme entstehen, ist so unaufdringlich wie unvoreingenommen und wird auch in der Beziehung mit Sadie nie thematisiert. Weder schmuddelig noch glitzerhaft-aufgepimpt, erscheint „Porn Valley“ vielmehr schrecklich öde in seiner Alltäglichkeit: die kleine Produktionsfirma, in der ohne viel Aufwand ein Video nach dem anderen heruntergedreht wird, ist im Wesentlichen von grauen Teppichböden und Computern bestimmt. Dass sich Jane von ihrer Profession so wenig berührt zeigt, liegt neben einer gewissen Opakheit der Figur auch an Dree Hemingway: ihr langgestreckter, kurvenarmer Model-Körper mag nicht so ganz zu dem Bild eines Porno-Starlets passen, und auch ihre betont natürliche Garderobe erscheint in ihrem Understatement fast ein bisschen zu „sophisticated“ – die hysterische Melissa fügt sich allein optisch viel nahtloser in die Umgebung ein. Mitunter erinnert die flüchtige, auf keine dramaturgische Zuspitzung treibende Erzählung von „Starlet“ an Sofia Coppolas Beschreibungen von Ennui – freilich ohne deren „glamourisierenden“ Effekte. Und natürlich ist auch das gesellschaftliche Milieu weitaus weniger privilegiert; schon allein deshalb sind Bakers Vorbilder eher im Umfeld des neorealistischen Kinos zu suchen; auch seine Erfahrungen mit Reality-TV-Formaten sind hier und da spürbar. Wenn dann aber Jane und Sadie ganz in den schimmernden, sonnendurchfluteten Bildern aufgehen, rückt der Wirklichkeitsbezug in weite Ferne – ein Traumpaar im wörtlichen Sinn.