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Filmkritik
Die Amerikaner nennen Filme wie diesen "Sleeper", was bedeutet, daß sie langsam, aber um so ausdauernder zum Kassenerfolg werden. "Stand By Me" ist ein kleiner, bescheidener Film, der nahezu jedem Verleiher angeboten war, bevor ihn die Columbia übernahm und zu ihrer eigenen Überraschung mit ihm eine Welle der Mundpropaganda auslöste. Heute gilt "Stand By Me" neben "Cocoon" in den USA als der Ausweg aus dem dümmlichen Einerlei der Teenager-Filme. Dabei spielt der Name des Horror-Autors Stephen King, nach dessen Kurzgeschichte "The Body" der Film gedreht wurde, nur eine geringe Rolle für die Resonanz. "The Body", eine offensichtlich autobiografisch beeinflußte Story, zeigt nämlich einen ganz anderen Stephen King, als er dem Publikum durch seine blutrünstigen Romane bekannt geworden ist.
Es ist die Geschichte von vier zwölfjährigen Jungen, die in einer Kleinstadt Oregons das Leben aller Zwölfjährigen führen: mit Mädchen haben sie noch nicht viel im Sinn, das Abenteuer lauert noch hinter jeder Straßenecke, aber sie sind doch schon alt genug, um die Fatalitäten der Erwachsenenwelt wahrzunehmen. Es ist der Sommer des Jahres 1959, als ihnen zu Ohren kommt, daß ein Gleichaltriger vom Blaubeerpflücken nicht heimgekommen ist und irgendwo tot im Wald liegen soll. Sie wollen der Gang der Achtzehnjährigen zuvorkommen und machen sich auf, die Leiche zu suchen. Auf dem Marsch offenbaren sich ihre unterschiedlichen Charaktere, aber ebenso ihre Kameradschaft und ihr Gefühl der Zusammengehörigkeit. Sie erleben wirkliche und eingebildete Abenteuer; sie müssen sich zum erstenmal in ihren Leben - ganz auf sich gestellt - bewähren.
Rob Reiner, der die Jungen zu fabelhaft unbeschwertem Spiel animiert hat, inszeniert die Geschichte nicht mit der hektischen Aktionsbesessenheit von "Zurück in die Zukunft", sondern als ruhige, sich langsam entwickelnde Odyssee, die manchmal ein bißchen in die Nähe von Tom Sawyer gerät, aber dennoch bemerkenswert individuelle Töne anschlägt. Statt des schweißtreibenden Abenteuers, das eigentlich nur einmal beim Überqueren einer Eisenbahnbrücke zum Tragen kommt, sucht er die besinnlichen Zwischentöne: die Stimmung am Lagerfeuer, das sich entwickelnde Verständnis für den anderen, die Bewußtmachung der familiären Bindungen. Diese Grundstimmung paßt hervorragend zu der immer wieder einbezogenen Landschaft Oregons und zu dem romantischen Erinnerungsbild der fünfziger Jahre, deren Schlager den Film wie ein bunter Faden durchziehen. Es gibt ein paar grelle Szenen (von denen man hört, sie seien aus kommerziellen Gründen nachgedreht worden), die zu dem lyrischen Tonfall des Films nicht recht passen; aber sie erlangen kaum genügend Bedeutung, um den Fluß der Geschichte nachhaltig stören zu können.
Es ist ein eigenartiger Zufall, daß dieser Film genau zu der Zeit im Kino erscheint, in der Stephen King mit seinem Roman "Es" einen der stärksten Erfolge hat. In der Tat haben diese frühe Kurzgeschichte und der neue Roman, der Kings literarische Qualitäten am deutlichsten unter Beweis stellt, vieles gemeinsam. "Stand By Me" wirkt wie eine Vorstudie zu "Es". Beide haben die Gruppe von Zwölfjährigen gemeinsam, die aus der Gewöhnlichkeit des Alltags hineingezogen wird in ein für ihr Leben bestimmendes Abenteuer. Und dieses Abenteuer hat in beiden Fällen mit dem Tod zu tun, hier in Form einer im Wald liegenden Leiche, dort als monströser Fluch, der in regelmäßigen Zeitabständen seine Opfer in einer amerikanischen Kleinstadt fordert. Beide Geschichten werden als Erinnerungen aus heutiger Sicht erzählt, beide finden ihr Zentrum in den fünfziger Jahren und selbst die Charaktere der jugendlichen Protagonisten sind die gleichen. Für Stephen-Kings-Fans, aber auch für jene, die den Autor erst mit seinem neuen Bestseller für sich entdeckt haben, dürfte es deshalb ein zusätzliches Vergnügen sein, im Vergleich der beiden Stoffe den Wurzeln von Kings Geschichten vielleicht ein wenig näher zu kommen.