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Filmkritik
Einige der Qualitäten von Harmony Korines „Spring Breakers“ sind zu offensichtlich, um sie vorbehaltlos zu genießen: Sonne, Strand, hippe Musik, Gangster und vor allem vier gutaussehende Teenager-Girls, die überaus leichtbekleidet eine Menge Unsinn veranstalten. Unter anderem überfallen sie eine Fast-Food-Bude, weil ihnen das Geld fehlt, um beim US-Teenie-Initiations-Ritual „Spring Break“ alles das zu tun, was ihre Eltern im „Bible Belt“ des mittleren Amerikas streng verbieten. Der Überfall glückt, und auf geht es nach Florida, wo Faith, Cotty, Candy und Britt doch noch ihren Spaß, saufen, huren, Drogen ohne Ende nehmen und sich einem zwielichtigen Typen an den Hals werfen: Alien, deutlich älter als die vier, ist ein White-Trash-Gangster mit Goldgebiss und weichem Herzen und erklärt seinen seltsamen Namen schlüssig wie folgt: „Um die Wahrheit zu sagen: Ich stamme von einem anderen Planeten“. Er möchte die vier Girls für sein Geschäft einspannen: Touristen auszurauben. Während Faith daraufhin schnell in den nächsten Bus nach Hause steigt, drehen die übrigen drei den Spieß bald um. „Spring Breakers“ ist zweifelsohne ein Fall für die Gesinnungspolizei. Dieser Film ist Sexismus pur, Exploitation pur, Voyeurismus pur; er appelliert an die „niederen“ Instinkte des Publikums, er ist manchmal sogar einfach dumm, öfters auch noch vulgär. Dennoch ist es ein sehr guter Film. Die Frage, wie das alles zusammengeht, ist vielleicht die interessanteste an diesem stilistisch ambitionierten Kinowerk. Seit er mit 21 Jahren von Larry Clark beim Skaten im Washington Square entdeckt wurde und in angeblich nur drei Wochen das Drehbuch für dessen Welterfolg „Kids“ (fd 31 598) schrieb, wurde der 1973 geborene Harmony Korine mit Filmen wie „Gummo“ (fd 36 592), „Julian Donkey-Boy“ , „Mr. Lonely“ und zuletzt „Trash Humpers“ (fd 40 324) zum Star des US-Independent-Kinos. Doch schon „Trash Humpers“ war bereits von einem altmodischen Flair durchzogen; die Unschuld der Figuren mit ihren dick aufgetragenen skurrilen Zügen und „liebenswerten“ Marotten umwehte etwas Kaurismäki-haftes, ästhetisch Reaktionäres. Mit „Spring Breakers“ erfindet sich Korine nun vollkommen neu: Fern vom Echtheitsfetischismus aus „Gummo“ und den Freak-Verehrungen der „Trash Humpers“ ist auch dies ein Märchen aus dem modernen Amerika, allerdings eines, das den Konsumismus und die Medienfixiertheit, das Leben aus zweiter Hand, nicht von Außen verachtet, sondern von Innen examiniert. Korine findet auch hier Einsamkeit und Melancholie, er entdeckt die Gesten einer Popkultur, die nicht Surrogat und Daseinsersatz ist, sondern den Menschen zur Schule des Lebens wird. So designed Alien sein Selbstbild komplett nach dem von Al Pacino gespielten Tony Montana aus Brian De Palmas „Scarface“ (fd 24 457), jenem Film, der auf seinem heimischen Flachbildschirm in Endlosschleife läuft. Candy wiederum hat in Britney Spears ihr ultimatives Role-Model gefunden. „Spring Breakers“ ist daher sehr deutlich als Medienkritik und Sprachanalyse des weißen amerikanischen Jugend-Mainstreams lesbar; vor allem aber ist der Film ein hedonistisches Manifest, und in seiner Dynamik und Emphase zugleich eine Feier des Fetischismus im Kino. Korines französischer Kameramann Benoît Debie findet großartige Bilder zwischen Privatfernsehen-Bombast und Nineties-Impressionismus. Diese werden von kommentierender Musikauswahl (u.a. Skrillex und Cliff Martinez) und einem cliphaften Schnitt unterstützt, in dem Zeitlupen, erzählerische Loops und Jump-Cuts dominieren. Ein Befreiungsschlag ist dies auch für drei Darstellerinnen. Keineswegs zufällig hat Korine neben seiner Frau Rachel mit Selena Gomez, Vanessa Hudgens und Ashley Benson Stars des blitzsauberen Disney-Channel für die Hauptrollen gecastet, deren Auftritt ihre Fans nachhaltig verstören dürfte. Wenn junge Frauen mit Maschinenpistolen in der Hand und rosaroten Skimasken Raubüberfalle veranstalten und im Bikini den Männern auf und vor der Leinwand den Kopf verdrehen, dann ist das eine Spielart des Feminismus – auch wenn Alice Schwarzer das kaum so sehen wird. Eine Initiation ist dieser Film aber nicht nur für die Hauptfiguren, sondern auch für Harmony Korine, der vor „Spring Breakers“ ein alternder Hipster war, das enfant terrible des bürgerlichen Arthouse-Kino. „Spring Breakers“ ist jedoch gerade für dessen Klientel absolut unerträglich; eine produktive Zumutung, wie man sie von einem avantgardistischen, wirklich unabhängigem Kino verlangen darf.