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Filmkritik
Ist diese Idee einer Urlaubsreise als Auszeit und Erholung nicht eine faszinierende Lüge? Man packt seine Koffer, verlässt den ermüdenden Alltag, um andernorts in einer künstlichen Welt aus Wellness, Spaß und Seelenbalsam ein Zimmer zu beziehen. Doch sobald der Sog des Terminkalenders verflogen ist, drängen ungelöste Themen an die Oberfläche. Es kommt zu Konflikten und Streit, zu Krisen und schmerzhaften Reflexionen, für die vorher keine Zeit war. Gerade die Aussicht auf Erholung und Spaß erzeugt oft einen immensen Druck. Letztlich ist Urlaub eben auch ein Produkt, das man kauft.
Im Kino ist der Urlaub als Krise ein häufig aufgegriffenes Thema. Vor allem in jüngster Zeit. Die Figuren lassen sich vor imposanter Kulisse in einen Ausnahmezustand versetzen, dem mit Sonne, Strand und Meer aufregende Kontrapunkte entgegengesetzt werden. Maggie Gyllenhaals düsteres Drama „Frau im Dunkel“ oder „Sundown“ von Michel Franco erzählen von späten Lebenskrisen, in denen eine Art Abrechnung vollzogen wird. „Aftersun“ von Charlotte Wells und „How to Have Sex?“ von Molly Manning Walker handeln von jungen Frauen, die in der Leichtigkeit des Urlaubs eine Schwere durchleben und traumatische Erfahrungen verarbeiten müssen.
Graue Erinnerung an den Osten
Auch Janin Halisch lässt die Hauptfigur ihres Spielfilmdebüts „Sprich mit mir“ verreisen. Allerdings ist die Kulisse eher provinziell: Das Plattenbauhotel an der Ostsee ist ein Stück graue Erinnerung an den Osten. Das ist nicht nur bieder. Für Karo (Alina Stiegler) ist es eine Reise in die eigene Kindheit, als der Vater die Familie noch nicht verlassen hatte. Das sind keine guten Voraussetzungen, wenn man gerade vom Freund den Laufpass bekam und die Mutter eine gemeinsame Reise mit der Tochter geplant hatte. Doch jede Widerrede ist zwecklos.
Bereits früh zeichnet sich ab, dass die beiden Frauen nicht wirklich miteinander reden, sondern in Rollen und Mustern verharren, die sie längst hinter sich gelassen haben müssten. Das Unausgesprochene zwischen Karo und Michaela (Barbara Philipp) ist ein kräftezehrender Brocken, der ständig präsent ist. Doch die Konflikte wollen sich nie gänzlich entladen. Dafür nehmen die Anspannungen zu, als die Mutter einen Flirt mit dem attraktiven Jochen (Peter Lohmeyer) beginnt. Der sich in Scheidung befindliche Sechzigjährige verbringt seinerseits den Urlaub mit seiner Tochter Marie (Pearl Graw) und sucht förmlich Nähe und Aufmerksamkeit. Während Michaela in dieser leichten Begegnung eine Bestätigung findet, sieht Karo sich in dem älteren Mann an den fehlenden Vater erinnert. Im konkurrierenden Werben um denselben Mann müssen die beiden Frauen endlich ihre eigenen Bedürfnisse aussprechen.
Ein beredtes Schweigen
Halisch lässt die Geschichte nicht auf einen dramatischen Ausbruch zulaufen, sondern inszeniert mit großer Zurückhaltung und gibt den leisen Zwischentönen Raum. Mitunter gelingen Szenen von sensibler Verletzlichkeit, vor allem im Spiel zwischen Peter Lohmeyer und Alina Stiegler, in dem die verdrängte Enttäuschung über das Leben in einem beredten Schweigen zum Ausdruck kommt.
Andere Szenen wirken hingegen wie uninspirierte Versatzstücke, die man ohne große Mühe dem Baukasten des gegenwärtigen Dramas entnommen hat. Wenn Bonnie Tylers Hit „Total Eclipse of the Heart“ während einer Karaoke-Einlage zum verzweifelten Ruf nach Liebe und heiler Familie wird und Karo dabei sogar mit den Tränen kämpft, fühlt man sich an ähnliche Szenen in „Toni Erdmann“ oder „Aftersun“ erinnert.
Hinzu kommt eine wenig überraschende und bisweilen sogar formelhafte Dramaturgie. Dass Karo in einer tiefen Sinn- und Lebenskrise steckt, markiert der Film schon zu Beginn mit aufdringlicher Deutlichkeit. Erst sieht man Karo, wie sie einen Mann auf einer Baustelle aufsucht, der sich wenig später als ihr Vater entpuppt. Dieser hat die Familie verlassen, als die Tochter 12 Jahre alt war. Als sie wenig später in ihrer Wohnung mit ihrem Freund schlafen will, klappt dies nicht. Nach dem unsensiblen Vorwurf mangelnden Begehrens wird sie gleich auch noch verlassen. Allerdings bricht hier keine Welt zusammen, die nicht bereits eingebrochen gewesen wäre.
Anwesend-abwesende Vaterfigur
Die dramaturgischen Eckpunkte werden in „Sprich mit mir“ in aufdringlicher Deutlichkeit markiert und den ganzen Film über schwermütig ausgebreitet: Das Hadern mit der eigenen Identität und das gute alte ödipale Dreieck mit einer abwesend-anwesenden Vaterfigur. Da aber diese ewigen Geschichten zudem in unspektakuläre, für das deutsche Kino aber typisch schwere Bilder gepackt werden, deren Reminiszenz an die „Berliner Schule“ den Film nicht zu retten vermag, droht „Sprich mit mir“ zu kollabieren. Inmitten des routiniert erzählten Dramas sucht man verzweifelt nach Ecken und Kanten oder überraschenden Momenten.