- RegieJoaquim Dos Santos, Justin K. Thompson, Kemp Powers
- ProduktionsländerVereinigte Staaten
- Produktionsjahr2022
- Dauer136 Minuten
- GenreAnimationAbenteuerScience FictionAction
- AltersfreigabeFSK 12
- IMDb Rating9.0/10 (135) Stimmen
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Filmkritik
Spider-Man sein ist eine Last! Als hätte man mit dem Erwachsenwerden allein nicht schon Probleme genug: Die menschlichen Hormone, die das unvermeidbare Abkoppeln aus der Familien-Behaglichkeit einleiten, sind bei all dem Spinnengift im Blut schon hinderlich, wenn man die Superkräfte einfach nur genießen möchte. Superheldisches Erwachsenwerden als Akt der Zerrissenheit.
Und dann ist da noch das moralische Gewissen, das durch den chemischen Cocktail des Spinnenbisses ins Übersensible gesteigert scheint. Immer wenn Unrecht geschieht oder Gefahr droht, ist da das Gefühl, helfen zu müssen. Und sei es auch deswegen, um nebenbei den Termin mit der Schuldirektorin und den Eltern zumindest ein wenig platzen zu lassen. Miles Morales ist intelligent und hat Ambitionen, aber seine eigenen. Mutter Rio und Vater Jefferson liebt er zwar innig, aber sie sind ihm, was diese Ambitionen angeht, eher hinderlich. Loslassen kann so schmerzhaft sein. Besonders als Spider-Man.
Das weiß auch Miles‘ Seelenverwandte in einer anderen Dimension. Auch von einer Spinne gebissen und dadurch mit besonderen Kräften gesegnet, wird sie ebenfalls von der Fürsorge eines Vaters umhegt, der bei der Polizei ist und nicht verstehen will, dass seine kleine Gwen tatsächlich gar nicht mehr so klein ist. Als Spider-Mensch (das englische „man“ ist hier gender-neutral zu verstehen) ist sie mindestens ebenso Schützer der Schwachen und Bekämpfer der Schurken wie ihr Vater – nur inkognito. Doch so verantwortungsbewusst sie sein will, so impulsiv ist sie. Eine Kurzschlusshandlung hatte jüngst zufolge, dass ihr einziger Freund Peter nicht mehr ist und dass ausgerechnet ihr Vater nun Jagd auf „Spider-Woman“ macht. Es ist eben auch eine Folge der Pubertät, dass Väter nicht mehr wissen, was ihre Töchter eigentlich sind und sein wollen…
Erde-65 trifft Brooklyn
„Spider-Man: Across the Spider-Verse“ ist zuallererst die Geschichte von Miles und Gwen, die sich bereits in „Spider-Man: A New Universe“, dem ersten Teil des Animationsfilms, kennen und mögen lernten, auch wenn sie nicht dieselbe Welt (sie „Erde-65“, er „Brooklyn“) teilen. Über ein Jahr ist inzwischen seit ihrem ersten Spiderverse-Rendezvous vergangen. Während des Erwachsenwerdens ist das so lang wie ein halbes Leben.
Doch auch wenn es im Kern ihre Geschichte ist, die der Film erzählt, geht „Spider Man: Across the Spider-Verse“ diese aus der Perspektive vieler Zeiten und Räume an. Wer den ersten Teil des 2018 initiierten Animationsfilm-Franchises kennt, weiß, dass Spider-Personen in allen Ausprägungen als Mann, Frau, Schwein, Pferd und noch mehr die Multiversen bevölkern. Geleitet werden sie, zumeist ohne es zu wissen, von der „Spider-Society“, die dafür zu sorgen hat, dass zwischen den Welten keine Anomalien auftreten, die das ganze Gefüge der Dimensionen instabil machen.
Doch genau das könnte mit dem Auftreten eines neuen Erzschurken nun drohen. Doktor Jonathan Ohnn wurde zu „The Spot“, woran Spider-Man Miles Morales nicht ganz unschuldig scheint. Nun ist Jonathans gesichtsloser, fahler Körper übersät von schwarzen „Wurmlöchern“, durch die Teile von ihm oder gleich ganze Welten in andere Dimensionen, Orte und Zeiten schlüpfen können. Durch ihn sowie die allzu eng werdende Beziehung zwischen Miles und Gwen und deren Einfluss auf die Dimensionen, könnte die Apokalypse nah sein. Das muss das Spider-Society-Team um Jessica Drew, Pavitr Prabhakar, Hobie Brown und allen voran Miguel O’Hara verhindern. Letzterer hat eine Art Vorsitz in der Gesellschaft inne. Seine scheinbar emotionslose Sachlichkeit im Dienst der Kohärenz wird von anderen (vor allem Miles und Gwen) gern als Herzlosigkeit missinterpretiert. Denn im Zweifel müssen Menschen, ja sogar die Liebsten sterben, wenn es der Sache als Ganzes dient. Selbst Superhelden müssen manchmal Ungerechtigkeiten passieren lassen. Das haben sie mit den Göttern gemein. Doch besonders Miles ist (noch) nicht willens, das hinzunehmen.
Komplex ist untertrieben
„Spider-Man: Across the Spider-Verse“ als komplex zu beschreiben ist eine gelinde Untertreibung. Das Abenteuer hat schon etwas von einem „Superhelden-Film für Fortgeschrittene“, allerdings kommt man auch mit, wenn man kein ausgewiesener Comicleser ist. Auch dieser zweite Teil einer angekündigten Trilogie funktioniert auf zwischenmenschlicher Ebene. Die unterschiedlichen Coming-of-Age-Aspekte, die hier die Jugendlichen wie auch interessanterweise die Erwachsenen durchdeklinieren, hat jeder so oder so ähnlich schon einmal selbst erlebt. Dazu braucht es keinen Spinnenbiss, sondern „nur“ eine Familie. Auch das Superheldendasein wird in seinen Facetten verdeutlicht. Nach dem Motto „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“ spricht Society-Master Miguel einmal von der „Bürde“ oder der „Herausforderung“, die ein „Spider-Man“-Dasein in sich birgt. Als er das sagt, ist die Geschichte um die Selbstfindung von Miles gerade in einer zentralen Phase. Denn er muss sich entscheiden, wie er im Gefüge der Society „funktionieren“ will und ob er bereit ist, dafür Opfer zu bringen.
Da „Spider-Man: Across the Spider-Verse“ ein Mittelteil mit Ansage ist (noch vor dem Abspann wird explizit auf „Coming Attractions“, nämlich „Spider-Man: Beyond the Spider-Verse“ (2024) verwiesen), darf man nicht darauf hoffen, dass alle hier angerissenen Probleme gelöst und alle Handlungs-Ellipsen geschlossen werden. Das mag für einen Moment ernüchternd wirken, aber ob man will oder nicht, so geht das Spiel (nicht nur) im Superhelden-Franchise.
Pure Sinnlichkeit
Wie kaum ein anderer Kinofilm jenseits des Kunst- und Experimentalbereichs, lassen sich die von Phil Lord und Christopher Miller (beide Drehbuch und Produktion) zu verantwortenden „Spider-Man“-Animationsfilme aber auch gänzlich losgelöst von der erzählten Geschichte und der Metaebenen goutieren: „Spider-Man: Across the Spider-Verse“ wirkt auch allein über seine Form. Nichts erinnert mehr an den Einfluss der Pixar-Macher, die den Animationsfilm einst von der Zweidimensionalität des Zeichentrick emanzipiert und ihm eine dreidimensionale „CGI“-Wirkung gegeben haben. Nichts erinnert hier mehr an den Reiz der 3D-Stereoskopie, die nach „Avatar“ als State oft he Art postuliert wurde. Nichts erinnert mehr an einen animierten Spielfilm mit einer durchgängigen, strukturierenden autoriellen Handschrift japanischer Animationskünstler wie Hayao Miyazaki oder Katsuhiro Otomo. Hier ist kein Konzept, sondern nur noch pure Sinnlichkeit! Als hätten die Macher die Begriffe der Collage, Frottage und die scheinbare Zufälligkeit des Wimmelbildes von der bildenden Kunst in den (animierten) Actionfilm übertragen, „funktioniert“ der Film als eine einzige postmoderne Aneinanderreihung von Stilen und Stofflichkeiten. Über fast zweieinhalb Stunden holt der Film nicht einmal wirklich Atem und powert Comic-Cell an Comic-Cell durch den CGI-Äther. Weder Zeit noch Raum spielen in der erzählten Geschichte und in der Visualisierung eine erdende Rolle.
Dieser visuelle Dauerbeschuss der drei neuen Regisseure Joaquim Dos Santos (ein im Animationsfilm versierter Actionchoreograf), Justin K. Thompson (der schon im ersten Teil begnadet agierende Production-Designer) und Kemp Powers (der Co-Regisseur von Pixars philosophischer Jenseits-Extravaganz „Soul“) wird auf der Tonebene von einem kongenialen Kollegen begleitet. Der Brite Daniel Pemberton ist neben Hans Zimmer der augenblicklich durchschlagendste Filmmusik-Eklektizist in Hollywood. Respektlos wirft sein Score Pop, Rock, Hip-Hop, Electronica und Jazz durcheinander und führt zu einer Überwältigung, die im Zusammenspiel mit den Bildern fast schon Angst macht, so wild ist das Gesamtkunstwerk.
Was fehlt, ist Kontemplation
Ein wenig zu wild? Mag sein. Man braucht Durchhaltevermögen für diesen extravaganten Stil. Der Film ist vielfach brillant und respektlos, aber zum Meisterwerk fehlt ein entscheidendes Detail: Die Kontemplation.
Produzent und Autor Phil Lord meint in einem Interview mit dem Branchemagazin „Indiewire“ zu seinem Overkill: „In der Animationsfilm-Gattung haben wir während unserer gesamten Karriere versucht, die Spielarten im US-amerikanischen Studiosystem in immer radikalere Bereiche zu drängen. Und für uns ist es hier eine Gelegenheit zu zeigen, wie grenzenlos die Möglichkeiten in allen Belangen sind. Diese unsere Geschichte hier schreit geradezu nach Grenzüberschreitung. Denn man begibt sich in all diese verschiedenen Welten mit einem ganz eigenen Animationsstil. Und es ergibt Sinn.“ Recht hat er. Dennoch würde man sich im dritten Teil der Reihe wünschen, bei allen Möglichkeiten auch einmal das Luftholen nicht zu vergessen.